Maaßen und das Sarrazin-Syndrom

Hans Georg Maaßen ist im Wahlkampf in Sachsen unerwünscht. In der Distanzierung des CDU-Ministerpräsidenten von ihm und im Einschlagen AKKs auf die Werteunion zeichnet sich ein Muster parteipolitischer Selbstschädigung ab, das ich das Sarrazin-Syndrom nennen will.

Hans Georg Maaßen ist im Wahlkampf in Sachsen unerwünscht. In der Distanzierung des CDU-Ministerpräsidenten von ihm und im Einschlagen AKKs auf die Werteunion zeichnet sich ein Muster parteipolitischer Selbstschädigung ab, das ich das Sarrazin-Syndrom nennen will.

Ich tippe diesen Beitrag mit einigem Lächeln. Vor einigen Tagen beunruhigte mich schon die Meldung, dass Hans Georg Maaßen, aus politischen Gründen entlassener Verfassungsschutz-Chef, für die CDU in Sachsen Wahlkampf machen wollte. Doch diese Sorgen haben sich inzwischen handstreichartig zerstreut.

Maaßen hat einen guten Ruf unter Rechten bzw. rechten Wählern. Selbst die AfD erkennt die Integrität des CDU-Mannes an, hat er sich doch offenbar verweigert den Verfassungsschutz als Instrument der politischen Hygiene zu missbrauchen, wie es sein Nachfolger jetzt weidlich tut (Androhung der Beobachtung der AfD; begründungslose Diffamierung der Identitären Bewegung als rechtsextrem). Maaßen hatte sich seinerzeit zudem geweigert die hysterische Hetzjagd-Lüge der Medien über Chemnitz zu unterstützen und dieser sogar widersprochen, was letztlich die Unerhörtheit war, die ihn sein Amt gekostet hat. Seit er Amt und nach ordentlicher Schmutzkampagne durch Parteien und Medien auch seine öffentliche Würde eingebüßt hat, spricht der Beamte auch häufiger in Medien wie der NZZ oder auf Veranstaltungen der konservativen Werteunion in der CDU deutlicher und auch deutlich kritischer.

Als das macht ihn unter Konservativen beliebt und für die CDU eigentlich zu einem sehr guten Feigenblatt. Die Werteunion, die seit Jahren das konservative Gewissen, der nach grün-bürgerlich abdriftenden Union mimt, hat mit ihm endlich auch ein Gesicht mit einer gewissen Popularität. Wir sollten uns über zwei Dinge nicht täuschen. Die Werteunion knurrt zwar ab und an, aber die Entscheidungen werden in ganz anders gearteten Kreisen gefällt. Die Reihe an Beispielen wo Werteunionisten aus der Partei zur Ordnung gerufen oder herablassend abgefertigt werden sind mannigfach. In die Parteiführung und damit in die Regierung hinein gibt es scheinbar kaum Strukturen, die in der Lage sind Einfluss auf die Politik zu nehmen. Im Gegenteil Parteichefin AKK hat kürzlich sehr deutlich gemacht, dass sie von der Werteunion rein gar nichts hält.

Die Werteunion wird vielmehr zu einem Sammelbecken für frustrierte CDU-Wähler und -Politiker, die den Absprung zur AfD nicht schaffen oder schaffen wollen, womit sie im Endeffekt auch das System Merkel (bald das System AKK) an der Basis stabilisieren, denn sonderliches Drohpotenzial besteht nicht, da die Werteunionisten offenbar kein Interesse daran haben von der Fahne zu gehen. Also kann man sie weiter mit grüner Politik gängeln und öffentlich desavourieren, denn es bleibt folgenlos.

Auf der anderen Seite – und darauf hat die Sezession mit Adresse an die AfD bereits hingewiesen – Leute wie Maaßen mögen womöglich in der Zukunft die Brücke zu einer Schwarz-Blauen Koalition sein (Österreichisches Modell) und deshalb tut man vielleicht gut an Kontaktpflege, aber Maaßen ist CDU-Mann durch und durch und seine Einladung auf AfD-Veranstaltungen (ebenso wie die anderer Werteunionisten) kann auch das Signal aussenden, dass die AfD nicht gebraucht würde, weil die viel bequemere Werteunion (mit weniger sozialen Kosten) lockt.

Und dieses Problem zeigt sich jetzt in den Wahlkämpfen in Mitteldeutschland besonders exponiert. Die AfD muss hier nicht nur wachsen. Aufgrund ihrer natürlichen Stärke im Osten gilt es vielmehr diese Stärke zu strategischen Siegen zu nutzen: Dass heißt die etablierten Parteien in übergroße Verliererkoalitionen zu zwingen, wie geschehen bei der Bürgermeisterwahl in Görlitz, damit sie sich weiter zur Kenntlichkeit entstellen oder selbst so dominant zu werden, dass die CDU um eine Koalition mit der AfD nicht mehr herumkommt, außer durch eine instabilie Minderheitsregierung.

Strukturell, insbesondere in Sachsen, muss also vor allem die CDU geschwächt werden (das Potenzial von Wählerwanderung aus linken Parteien wie der SPD zur AfD (Stichwort: sozialer Patriotismus) dürfte langsam ausgeschöpft sein) damit sie nicht als Zugpferd einer weitern GroKo mit einer Rumpf-SPD dienen kann. Und Maaßen und die Werteunion kalkulieren an sich richtig, dass mit einer konservativen Alternative in den traditionell patriotischeren und weniger kosmopolitischen Ostländern der Verfall der Union minimiert werden kann. Insbesondere wenn der Repräsentant dessen ein gestandener Beamter ist, der die Chemnitzer in Schutz genommen hat und auch in weiten Teilen der AfD anschlussfähig ist.

Seine Anwesenheit im Wahlkampf nicht als Bedrohung zu sehen, wäre demnach blauäugig gewesen. Allerdings hat sich dieses Problem inzwischen von selbst erledigt.

Michael Kretschmer, amtierender sächsicher Ministerpräsident und in der unangenehmen Position nach den Wahlen die AfD salonfähig zu machen, durch Gespräche oder durch eine Duldungsoption oder gar eine Koalition oODER einer übergroßen (und damit instabilen) Anti-AfD-Koalition der Verliererparteien vorzustehen, hatte sich Maaßens Einmischung in den sächsischen Wahlkampf verbeten, denn mit seinen Äußerungen zu Chemnitz habe dieser in der Vergangenheit schon genug Schaden angerichtet. Er habe, so Kretschmer, die damalige Debatte unnötig verlängert.

Ich glaube man weis, was man von einem Ministerpräsidenten halten muss, der lieber in Kauf nimmt, dass eine Stadt seines Landes und dessen Bürger als Nazis diffamiert werden und das Ansehen seines Landes durch Hetzjagden beschmutzt wird, als das er dem Mann Erkennung zollt, der schon damals die Redlichkeit besaß dieser von vorne bis hinten erfundenen Geschichte zu widersprechen. Im Übrigen etwas zu dem Kretschmer sich so deutlich nicht überwinden konnte.
Vielmehr scheint das Argument auch vorgeschoben zu sein, denn etwas anderes scheint hier deutlicher zu wirken.

Am deutlichsten können wir diesen Mechanismus in der SPD aber auch bei den Grünen beobachten. Wir haben eine Riege von Politikern, die in der Bevölkerung durchaus beliebt sind, die aber von ihren eigenen Parteien mit möglichst viel Ausgrenzung, Zurechtweisung und sogar einem deutlichen Vernichtungswillen bedacht werden. Eigentlich müsste man meinen, dass Parteien gerade solche Politiker nutzen würden, um Wähler und ganze Wählerschichten anzusprechen und gerade vor den Wahlen auf Tour zu schicken. Das Problem jedoch ist, dass diese Politiker deshalb so beliebt sind, weil sie unbequeme Wahrheiten aussprechen, auf Vernunft und Mäßigung beharren oder an einem klassischen Parteikurs festhalten und sich eben nicht auf „modernen“ und „progressiven“ einlassen wollen und diesem diametral zuwider handeln und sprechen.

Solcher Art parteipolitisch gehasste, aber beliebte Politiker sind Figuren wie Thilo Sarrazin, Heinz Buschkowsky, Boris Palmer und eben jetzt auch Hans-Georg Maaßen. Und diese Verhasstheit kann man nur mehr in einen klinischen Begriff kleiden, den ich nach dem infant terrible der SPD das Sarrazin-Syndrom nennen will, denn schließlich führt sie einer Autoimmunkrankheit gleich zu einem selbstschädigendem Verhalten.

Grundauslöser des Ganzen sind freilich die hypermoralisch-nervöse Gesellschaft oder besser (das sieht man an der nicht totzukriegenden Popularität von Sarrazin und den anderen) die Vertreter der hypermoralisch-nervösen selbsternannten  Öffentlichkeit, die eine solche imaginiert. Das Sarrazin-Syndrom nimmt genau da seinen Anfang, wenn Parteien (das Konzept wäre wohl auch auf Vereine oder Unternehmen übertragbar) dem Druck und den Standards der hypersensiblen Meinungswächter nicht nur nicht standhalten und widersprochen, sondern dessen Narrative in ihrer Legititmität bestätigen und sogar übernehmen. Man manövriert sich damit in eine Falle.

Man räumt den Vorwürfen nicht nur Substanz ein, man spricht ihnen eine übergeordnete moralische Berechtigung zu und macht sich selbst zum Sklaven, denn was man selbst einmal öffentlich zur eigenen Moral erklärt hat, kann man nicht mehr von sich weisen, ohne als Heuchler oder gleichsam moralisches verkommenes Subjekt zu gelten. Und dies zwingt einen schließlich, selbst zum eigenen Schaden, entweder Teil der Inquisition zu werden und sich in regelmäßigen Bußübungen zu reinigen oder selbst in die Grube der Verkommenheit herabgestoßen zu werden. Im Fall der SPD übernahm die Partei das Narrativ der Presse von den rassistischen und menschenfeindlichen Thesen eines Thilo Sarrazins und musste sich fortan von ihm nicht nur als Person sondern auch von einer auf seinen Aussagen basierenden Vernunftpolitik distanzieren, um nicht selbst als rassistisch und menschenfeindlich zu gelten.

Zur Folge hatte das eine zunehmende Entfremdung von dem Teil der Partei- und Wählerbasis, die Sarrazin zustimmte (und sich damit indirekt ebenso auf die Stufe von Rassisten und Menschenfeinden gestellt sah), die mit jeder weiteren Regung inquisitorischer Selbstreinigung (wiederholte Versuche des Parteiausschlusses) vertieft wurden und diese Leute zur dankbaren Wahlalternative trieb, die Sarrazins Thesen aufgriff und den Autor wertschätzte, statt ihn zu verdammen.

Das gleiche Spiel betreibt die CDU (speziell AKK und Kretschmer) im Fall Maaßen. Da sie damals in persona Angela Merkels das Hetzjagd-Narrativ der Medien übernahmen, musste der Widerspruch Maaßens als Unerhörtheit, ja sogar in Diktion linker Parteien als Liebäugeln oder zumindest Blindheit mit bzw. gegenüber dem rechten Rand gelten. Es gab keine Möglichkeit zurück, wollte man sich nun nicht selbst kontaminieren, in dem man den integren Beamten verteidigte oder einen Fehler eingestand, denn vom Podest moralischer Erhabenheit kann der Abstieg hart und schmerzhaft sein, kommt er doch meist einem Sturz ziemlich gleich. Das heißt trotz der auch in den letzten Monaten wachsenden Beliebtheit Maaßens an der Wählerbasis der CDU kann man ihn nicht nur nicht als Wahlkampfhelfer einsetzen, nein man muss im Sinne Kretschmers und AKK auf ihn (und die mit ihm verbundene Werteunion) direkt einschlagen, um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen man dulde solche verderblichen Ansichten in der Partei. Und wiederum zwingt man damit die eigenen Wähler und oder konservativen Mitglieder entweder zum Bruch oder zum internen Widerstand.

Solange also das Sarrazin-Syndrom wirksam ist, könnte die fortgesetzte Anwesenheit und Präsenz eines Maaßens oder Sarrazins oder Palmers in CDU, SPD oder Grünen trotz ihrer Rolle als Feigenblätter der Vernunft für diese Parteien einen schädlichen und für die AfD nützlichen Entlarvungseffekt haben.

AfD Sachsen: Rechtsmeinungen zur Landesliste

Eine Ergänzung zum Thema Landesliste der AfD zur Landtagswahl Sachsen 2019 mit verschiedenen Rechtsmeinungen zur formalrechtlichen Richtigkeit der Liste. Es besteht Grund zur Hoffnung, Unsicherheiten sollten trotzdem in Zukunft vermieden werden.

Da ich in fortgeschrittenen Zorn meinen letzten Artikel verfasst habe, will ich positive Aussichten auf die kommende Landtagswahl in Sachsen natürlich nicht unter den Tisch fallen lassen. Die AfD will natürlich durch eine Eilklage eine schnelle Entscheidung und Zulassung ihrer Wahlliste zur Wahl erzwingen und hat sich dafür Rechtsgutachten und Rechtsmeinungen eingeholt, die ihre Position stärken. Vorgestellt auf einer entsprechenden Pressekonferenz. Hier veröffentlicht auf dem Kanal „AfD in Sachsen und Dresden – Die Dokumentation„.

Auch kam kürzlich im SPIEGEL eine Juraprofessorin zu Wort, die das Vorgehen des Wahlausschusses aus rechtlicher Sicht bemängelte und ebenfalls das Recht hier auf Seiten der AfD sieht, eine Streichung der Landesliste, zumindest in dem Umfang als unbegründbar und unverhältnismäßig. Den Inhalt präsentiert uns hier der Kanal „Brennpunkt Politik“ ehemals „Sergeant Meinungsfrei“:

Nun will ich dazu noch zwei Anmerkungen machen: Was Rechtsexperten meinen und was die mit der Angelegenheit befassten Richter am Ende entscheiden, können zwei unterschiedliche Sachen sein, also in trockenen Tüchern ist nach wie vor nichts, ob das Urteil sich wiederum in einem kritischen Zustand befindet, kann dann zu gegebener Zeit nur ein Blick in die Rechtsbegründung des Urteils klären.

Selbst also wenn wir der Argumentation der oben in Videoform angebrachten Rechtsmeinungen folgen, muss ich auf zwei Feststellungen meines alten Artikels bestehen: Zum einen birgt ein solcher Verfahrensweg, wie die AfD ihn beschritten hat, zwingend für Unstimmigkeiten und Angriffspunkte, die ein leichtes Ziel für solcherart formalrechlicher Sabotage sind, gerade dann wenn dem Gegner jedes Mittel Recht ist, wie ja auch jede Aussage eines Demobesuchers oder eines Parteimitglieds von ferner liefen auf die Goldwaage gelegt und in die Öffentlichkeit gezerrt wird. Man muss also definitiv immer dafür sorgen, dass mit der größtmöglichen Sorgfalt und Strukturiertheit vorgegangen wird, damit diese Angriffspunkte gar nicht erst entstehen. Würden dann tatsächlich Versuche gemacht, mit vorgeschobenen formalrechtlichen Begründungen Sabotagen vorzunehmen, wäre das dann ein der AfD nützlicher Offenbarungseid, etwas das hier in diesem verdrehten Fall so offenkundig nicht ist. Zweiterseits schafft man mit solchen Angriffspunkten dann wie im jetzigen Fall Unsicherheiten, weil man sich dann von einer Rechtssprechung abhängig macht, die im Sinne der AfD urteilen kann, aber eben auch nicht, je nachdem wie es der Ermessensspielraum des Rechtes zulässt. Die unterschiedlichen Rechtsauffassungen verschiedener Juristen in diesem Fall geben ein beredtes Beispiel davon ab, dass man sich hier vor Gericht, wie auch auf See, einem alten Sprichwort nach, in Gottes Hand befindet. Und solche Situationen sollte man vermeiden, gerade wenn so etwas Zentrales wie Wahlen davon abhängen.

Zum anderen bleibt ein gewisses Element der Unsicherheit was die Fairness der Wahl der Kandidaten angeht. Das passive Wahlrecht (also das Recht sich wählen zu lassen) ist verfassungsrechtlich verbürgt und in der Praxis von der Aufstellung durch die eigene Partei stark abhängig. Wie bereits beschrieben, kann eine Änderung des Wahlmodus mitten in der Listenaufstellung von späteren oder früheren Kandidaten, je nach dem wer sich für welchen Listenplatz unter welchem Wahlverfahren größere Chancen ausgerechnet hat, zu Unzufriedenheiten und der Meinung von Ungerechtigkeit führen. Bei einem Abgeordnetenplatz geht es um Pfründe: Privilegien und Geld. Und da uns nichts Menschliches fremd sein darf, müssen wir natürlich immer auch davon ausgehen, selbst wenn einer wirklich mit Idealismus für eine Sache brennt, er sicher nicht abgeneigt ist, dafür gut bezahlt zu werden. Eine andere Frage ist natürlich auch eine allzu menschliche Kränkung der eigenen Eitelkeit oder des eigenen Selbstwertgefühls, ggf. auch des Gefühls von der Partei für die eigene Arbeit nicht genug gewürdigt zu werden.

Diese „kleinlichen“ menschlichen Affekte mag man für kontraproduktiv oder schädlich halten, aber sie sind da und werden meist von den Leuten abgetan, die entweder gar nicht in Aussicht auf einen Posten sind oder ihn sicher haben. Man sollte das auch nicht unterschätzen. Es braucht nur etwas eigennützige Bosheit und ein oder zwei Kandidaten die das interne Wahlverfahren über ihre Köpfe hinweg als ungerecht oder unrechtmäßig beschlossen und durchgeführt anprangern und schon sind wir in einer Debatte über die Rechtmäßigkeit der Wahl, ebenso wie in einer Diskussion über parteiinternes Postengeschacher. Und natürlich wären solche Figuren in einem möglichen Rechtsverfahren über eine rechtmäßige Listenzulassung perfekte Kronzeugen für diejenigen, die die formelle Gültigkeit und Rechtmäßigkeit einer Wahlliste in Zweifel ziehen. Und es reicht die Behauptung, wenn das Verfahren Räume des Zweifels offen lässt.

Zusammengefasst: Es gibt jetzt doch ein paar mehr Gründe darauf zu hoffen, dass von juristischer Seite die Wahl für die AfD gerettet wird (es ist nie verkehrt alle Mittel auszunutzen, das würde jeder tun), aber es bleibt nach wie vor in der Verantwortung der Landesverbände und der Bundespartei dafür zu sorgen, dass es zukünftig keine Unklarheiten bei solch zentralen und wichtigen formalrechtlichen Vorgängen mehr gibt. Gerade dann nicht, wenn solche Schicksalswahlen anstehen, wie sie uns jetzt mit den neuen Bundesländern ins Haus stehen.

Arroganz und Inkompetenz: Wie man eine Wahl gegen die Wand fährt

Ein Formfehler könnte die wichtige Landtagswahl in Sachsen im Ergebnis für die AfD ruinieren. Schuld und Verantwortung trägt sie daran völlig allein. Eine Polemik.

Ein Formfehler könnte die wichtige Landtagswahl in Sachsen im Ergebnis für die AfD ruinieren. Schuld und Verantwortung trägt sie daran völlig allein. Eine Polemik.

Vorab ein wichtiger Disclaimer zum Einstieg:

Trotz des vor uns liegenden Problems ist es NICHT sinnlos zur Sachsen-Wahl zu gehen. Das Gewinnen von Direktmandaten über die Erststimme ist von größter Wichtigkeit, deshalb ist eine hohle Wahlmobilisierung noch nie so erforderlich gewesen wie jetzt. Geht also auf jeden Fall wählen und unterstützt die AfD in den Wahlkreisen.

Ich will den geneigten Leser vorwarnen, dass ich diesen Artikel in einem Anflug aufwallenden Zorns schreibe, weil ich mir sonst unschlüssig wäre, wohin ich mit meinen Gefühlen sonst soll. Ich würde jetzt gerne an Artikel zur Schlepperin Rackete sitzen oder anderen mehr theoretischen Beitragen aber schon wieder, SCHON WIEDER kommt mir ein Lapsus, eine Hiobsbotschaft der AfD dazwischen und ich werden nicht anders können, als die Partei – zumindest den sächsischen Landesverband – verbal zu rupfen.

Was ist nun also los? Wir stehen in einem ausgesprochen entscheidenden Wahljahr. In Mitteldeutschland werden einige Landtage neu gewählt. Nach der eher durchwachsenen Europawahl (siehe: Grüne auf Steroiden) wäre es eine Möglichkeit gewesen den jetzt seit der Bundestagswahl andauernden Knoten zu brechen, der die AfD an die Mühen der Ebene fesselt und so langsam dafür sorgt, dass sich die Partei in der Alltagspolitik langsam erschöpft und totläuft.

Bedeutung der Landtagswahl in Sachsen

Die Wahlen im Osten der Republik wären eine Möglichkeit für politische Durchbrüche und Bewegungen gewesen. Im Osten ist die AfD lt. aktueller Demoskopie im Kreis der Volksparteien angekommen und hätte in Sachsen womöglich die Chance gehabt sogar die CDU auf den zweiten Platz zu verweisen und sich das Recht zu erobern eine Regierung zu bilden. Selbst wenn das nicht gelungen wäre, wäre sie bei etwaigen Regierungsbildungen eine Kraft gewesen, an der man hätte nicht vorbei kommen können. Eine starke AfD hätte selbst eine GroKo verunmöglicht und hätte eine CDU entweder in Koalitionsverhandlungen gezwungen, was ein wichtiges Signal an den Bund und in andere Bundesländer gewesen wäre oder die nominal-konservative Partei dazu genötigt einen Offenbarungseid abzulegen und eine Anti-AfD-Einheitskoalition mit allen anderen Kräften (auch der Linkspartei) zu suchen oder sich als Minderheit von einer solchen tolerieren zu lassen. Man hätte als Folge die CDU damit als Blockflöte zur Kenntlichkeit entstellt und in der Opposition daran noch weiter wachsen können.

Im anders gearten Fall hätte man als Juniorpartner einer CDU geführten Regierung sich Meriten und den Nimbus konstruktiver Regierungspolitik sichern können, außerdem wäre über den Bundesrat Einfluss auf wichtige Bundesentscheidungen möglich gewesen. Stärkste Kraft zu werden sogar hätte mit dem Argument überlegener Stärke eine Monstranz per se aufgebaut, unabhängig davon, ob nun die anderen Parteien eine AfD-Regierung durch Koalitionsverweigerung blockieren oder nicht. Man hätte auch in diesem Fall dann der linken Einheitsopposition, insbesondere der CDU, dann mangelnde Kompromissbereitschaft vorwerfen können.

In jedem Fall wäre das Feld handfester politischer Handlungs- und Fortschrittsoptionen denkbar gewesen, anders als im eher nüchternen Zustand der Bundespolitik, wo man sich zwar als feste Kraft etabliert, sich aber an den Grenzen der eigenen Reichweite totläuft, was auf Dauer die Wähler wieder in Lethargie versetzen könnte. Die Landtagswahl hätte also ein Durch- und Ausbruch sein können.

Und das steht jetzt alles wegen eines Formfehlers massiv auf der Kippe.

Kurz zum Wahlsystem

Das deutsche Wahlsystem sieht auf Landes- wie auf Bundesebene ein zweiteiliges Wahlsystem mit zwei Stimmen vor. Wobei die Erststimme dazu dient den Kandidaten eines jeweiligen Wahlkreises direkt zu unterstützen und die andere dazu landesweit den Stimmenanteil einer Partei oder genauer gesagt einer von dieser Partei aufgestellten Landesliste zu bestimmen. Aus den Anteilen an den Zweitstimmen bestimmen sich einfach gesagt auch die Anteile der Sitze eben im Landtag. Das Prinzip: Wenn eine Partei 30% aller Stimmen holt, sollte sie entsprechend auch im Parlament 30% der Mandate erhalten.

Damit vor der Wahl transparent ist, welche Kandidaten ich auf diese Sitze berufe, wenn ich bestimmte Parteien wähle, müssen diese Parteien eben Kandidatenlisten aufstellen und die errungenen Sitze im Parlament werden der Reihe nach von dieser Liste aus besetzt. Vordere Listenplätze haben natürlich eine größere Chance auf einen Einzug ins Parlament als hintere Listenplätze.
Die von den Erststimmen generierten Direktmandate (also direkte Sieger eines Wahlkreises in Konkurrenz mit den Kandidaten aller anderen Parteien) ziehen unbeschadet des Abschneidens ihrer jeweiligen Partei bei den Zweitstimmen in jedem Fall ins Parlament ein und sie füllen rechnerisch vorzugsweise die über Zweitstimmenen errungenen Sitze. Alle weiteren Sitze werden dann von der Wahlliste aus aufgefüllt.

Im Fall das eine Partei mehr Direktmandate erringt und damit Sitze im Parlament besetzt als ihr vom Wahlergebnis her überhaupt zustehen, werden zur Wahrung der Stimmenverhältnisse Überhangmandate an die anderen Parteien ausgegeben.

Im Fall das wenig Wahlkreise direkt gewonnen werden, müssen natürlich umso mehr Sitze von der Landesliste aus besetzt werden. Aus diesem Grund empfiehlt es sich grundlegend für jede Partei wenigstens so viele Kandidaten aufzustellen wie es Sitze im Parlament gibt, damit theoretisch jeder Sitzplatz besetzt werden könnte. In diesem Fall gilt viel hilft viel, zumindest im Zweifel, wenn man nicht absehen kann, wieviele Sitzplätze man überraschend holen könnte. Denn Sitze, für die es keinen vorher registrierten Kandidaten gibt, mögen einer Partei zustehen, sie bleiben aber unbesetzt, denn nachnominiert werden darf nicht. Das bedeutet es fehlen dann Stimmen in der eigenen Fraktion, was die parlamentarische Mitbestimmung angeht, was auch bedeutet, dass die Stimmen der anderen Abgeordneten damit wertvoller werden, was im Endeffekt nur die eigenen Konkurrenzparteien stärkt.

Formfehler mit verheerender Wirkung

Nun hat die AfD ihre Kandidatenliste zwar fristgerecht eingereicht bei der entsprechenden Stelle, nur ist diese Liste unter formalrechtlich denkbar schlechten Umständen entstanden. Zunächst wurden zwei getrennte Listen (mit jeweils eigenen Beglaubigungen und Protokollen) eingereicht, weil sie an unterschiedlichen Terminen zusammengestellt wurden, diese wurden aber später durch eine Gesamtliste ersetzt. Nun kann es möglich sein, dass man eine Kandidatenaufstellung unterbricht und an einem anderen Tag fortführt, womöglich aus zeitlichen oder anderen Gründen. Das wäre ein Argument gewesen, auf das man sich hätte formalrechtlich durchaus beziehen können, um damit eben eine nachgereichte Gesamtliste zu legitimieren. Problematisch hingegen wird es, wenn diese Veranstaltungen tatsächlich eine formale Trennung aufweisen, also als eigenständige Veranstaltungen nicht nur behandelt werden, sondern auch inhaltlich von einander abweichen. So hielt es die erlauchte AfD-Spitze offenbar für schlau am anderen Termin einfach mal das Wahlverfahren für die Liste über den Haufen zu werfen und abzuändern, freilich ohne die ersten bereits beim ersten Termin festgelegten 18 Listenplätze neu wählen zu lassen, sodass hier zwei verschiedene Entscheidungssysteme zum Einsatz kamen (so berichtet zumindest T-Online). Und selbst mit allem guten Willen (den ich für die Partei ja durchaus aufbringe) das kann man nicht wegdiskutieren. Formalrechtlich ist das nicht nur ein kleiner Fehler sondern ein derart offenkundiger Verstoß, dass man fragen muss, ob man blöd oder zu arrogant war um das zu erkennen.

Ohnehin wirft dieses Vorgehen auch die Frage nach dem Warum auf? Nahm man es nachdem die Topplätze vergeben und die Großkopferten versorgt waren nicht mehr so genau mit den Verfahren und den weiteren Listenplätzen, dass man meinte die nur noch oberflächlich abhandeln zu müssen? War man zu faul die vorderen Plätze nach dem offenbar dann als besser empfundenen zweiten Bestimmungssystem noch einmal zu bestimmen und welches Licht wirft es auf die innere (und damit auch äußere) Organisationsfähigkeit der Partei wenn sie schon in den internen Prozessen schlampt, schludert und es keinem auffällt und das so kurz vor einer unglaublich wichtigen Wahl.

Die Folge des Ganzen ist jetzt, dass mit aller Wahrscheinlichkeit nach nur die erste Version der Liste eben mit allein 18 Listenkandidaten überhaupt zur Wahl zugelassen wird. Das heißt egal wie hoch der Stimmenanteil der AfD bei der kommenden Landtagswahl sein wird, ihr maximales Stimmgewicht (ohne Direktmandate) wäre durch diesen massiven selbstverschuldeten Fehler auf 18 Mandate gedeckelt. Bei regulären 120 Abgeordneten (ohne Überhangmandate) entspräche das einem effektiven Stimmenanteil von 15%. Im Fall also die AfD holt keine zusätzlichen Direktmandate sondern besetzt die 26% bis 27% der Sitze, die ihr laut aktueller Demoskopie zustünden allein aus der Liste heraus, würde sie sich damit nicht ganz (aber nah dran) halbieren und etwa auf Bundesniveau kastrieren und das allein formalrechtlicher Fahrlässigkeit und Bequemlichkeit wegen.

Und nicht nur das. Stünden der AfD aufgrund der Direktwahlmandate anderer Parteien womöglich Überhangmandate zu, gäbe es auch dafür keine Listenkandidaten, um diese nachzubesetzen, was ihren effektiven Stimmenanteil ebenfalls noch einmal verringern würde.

Am Ende könnten die Altparteien in Sachsen ungestört weitermachen. Die AfD wäre bei den Koalitionen raus aus der Gleichung, selbst als Störfaktor.

Schadensbegrenzung: Kampf um Direktmandate

Dem Ganzen stehen natürlich die Direktmandate gegenüber. Was nicht über die Liste besetzt werden kann, kann dadurch gefüllt werden, in dem man viele Direktmandate in den Wahlkreisen gewinnt. Doch hier haben wir das nächste Problem: Da die Listenkandidaten parallel auch in den Wahlkreisen antreten und es wahrscheinlich ist, dass viele der zugelassenen Listenkandidaten ihre Wahlkreise direkt gewinnen könnten, könnten damit die verbleibenden Plätze eben nicht aufgefüllt werden, sie fallen als Direktmandatierte also aus der Liste auch noch heraus.

Das heißt die AfD müsste zusätzlich zu den 18 Listenplätzen dann mutmaßlich 15 Wahlkreise gewinnen, in denen keine Listenkandidaten antreten und besser wären natürlich mehr. Jörg Meuthen, wohl in Voraussicht das etwaige juristische Einsprüche niedergeschlagen werden, hat deshalb schon einen Erststimmenwahlkampf ausgerufen. Sicher ist das allerdings nicht.

Zwar – wie es in diesem Artikel hier heißt – könnte wegen der Direktmandate dieser Lapsus der AfD wenig schaden, weil sie sich gute Chancen auf viele Direktmandate ausrechnen kann, allerdings ist das nur ein sehr optimistisches Szenario. Es bleibt unklar ob dann nicht immer noch die AfD selbst bei einem guten Erststimmen-Wahlkampf, mit einem effektiven Verlust an Mandaten aus der Wahl gehen muss und in einem etwaigen Koalitionspoker zählt wirklich jede Mandatsstimme. Und da sind jetzt Stimmenverluste wegen dieser Schlappe selbst (also Vertrauensverlust beim Bürger) nicht eingedacht.

Aber so sicher erscheint es nicht, dass die AfD diese Direktmandate auch wirklich in so überwältigender Zahl holen kann. Auf der sicheren Seite wäre die AfD mit 30 oder mehr gewonnenen Wahlkreisen also über die Hälfte der 60 Kreise von denen die städtischen Zentren mit einiger Sicherheit an linke oder links-bürgerliche Parteien gehen und andere womöglich ostalgische Hochburgen der Linkspartei sind, auch wenn sie in Sachsen traditionell etwas schwächer ist als bspw. in Thüringen.

Im Gegensatz zu den Zweitstimmen, wo man entsprechend der geholten Anteile immer noch irgendetwas herausbekommen kann, selbst wenn man nur zweistärkste Kraft wird, funktionierten die Erststimmen nach den Prinzip von The Winner Takes It All. Die AfD ist also immer auf die Mehrheit der Stimmen in jedem Wahlkreis angewiesen, um zu gewinnen. Reicht es dafür nicht geht der Wahlkreis verloren, trotz eines guten Ergebnisses und da die Listenplätze gedeckelt sind brächte ein gutes Wahlergebnis keinen politischen Vorteil. Und das es schwierig werden könnte, wurde ebenfalls im o.A. Artikel beschrieben. Zwar ist es nicht einfach und es wäre ein durchschaubares Manöver, wenn die anderen Parteien zusammenarbeiten und unter sich einen zu unterstützenden Kandidaten auskungeln (anders als in Görlitz wird es eben keine Vorwahl und damit Bestimmung des aussichtsreichsten Kandidaten geben) und das dann noch ihren Wählern kommunizieren müssen, allerdings ist taktisches Wählen zuungunsten der AfD keineswegs ausgeschlossen. Das insbesondere nicht, da das Thema mit Sicherheit die kommenden Wochen durch die Presse gepeitscht werden wird, ergänzt um taktische Anti-AfD-Wahlempfehlungen während dieser Fall von himmelschreiender Inkompetenz womöglich die Mobilisierungskraft der AfD lähmt.

Da es nicht unbedingt wahrscheinlich erscheint, trotz des  guten Abschneidens der AfD bei der Europawahl, dass mehr als die Hälfte der Wahlkreise direkt gewonnen werden können, dürfte das beste erreichbare Ergebnis nur eine Schadensbegrenzung sein. Es bräuchte optimale Bedingungen um am Ende unbeschadet am eigenen Mandatsergebnis aus dieser Wahl zu gehen. Aber hoffen wir das beste. Noch einmal Wählen ist jetzt wichtiger denn je.

Anfechtungen und peinliches Herumopfern

Nun will ich nicht unterschlagen, dass die AfD angekündigt hat juristisch dagegen vorzugehen, aber die Chancen dafür dürften denkbar schlecht stehen, denn formalrechtlich – auch ich als Sympathisant muss das betonen – ist das kein verzeihlicher Lapsus sondern ein harter und damit sanktionsfähiger Verstoß. Man kann gerne den Rechtsweg ausschöpfen, aber ohne allzu missmutig zu sein, es ist nicht realistisch das das hier durchgeht, selbst dann nicht, wenn die Partei nicht ohnehin einen schweren Stand in allen Bereichen der Gesellschaft (einschließlich der Justiz hätte). Also abgesehen von dem mehr als offenkundigen Verstoß, darf die AfD so oder so keine Nachsicht erwarten, was auch angesichts der Wichtigkeit dieser Wahl ein Grund hätte sein müssen besonders vorsichtig zu sein, gerade auch weil es formalrechtliche Auffälligkeiten auch schon bei anderen Wahlen der letzten Jahre gab.

Da hilft es im Übrigen überhaupt nicht, wenn man jetzt (nachdem man auch schon eine Legislatur im Parlament gesessen hat) jetzt versucht die Neulings-Karte auszuspielen und z u hoffen einem „neuen“ würden Formalfehler verziehen. Das ist einfach unprofessionell und wirkt angesichts des sonstigen Gehabes der AfD (Kompetenzdarstellung, Reden von Verantwortung, etc.) nicht mal mehr unfreiwillig komisch sondern erniedrigend entlarvend, gerade für Parteianhänger, die dann unter derlei Peinlichkeiten ihrer Organisatoren dann auch noch leiden müssen.

Aber es geht noch schlimmer. Wenn der „Merkur“ den Landesvorsitzenden so zitiert:

„Der sächsische AfD-Vorsitzende Jörg Urban bezeichnete die Entscheidung des Landeswahlausschusses als ‚Komplott von Vertretern der im Landtag sitzenden Altparteien‘. Diese wollten ‚mit einem durchsichtigen, juristisch nicht haltbaren Boykottverfahren“ die AfD schwächen. Die Partei werde dagegen klagen.'“

Dann fehlt hier völlig das Bewusstsein für die eigenen Fehler. Es wird nach externen Schuldigen gesucht, während man sich zur Abwechslung mal wirklich als Opfer inszeniert und das ob eines durch wirklich eigenen Versagens verschuldeten Krisis. Was insbesondere unwürdig und peinlich auf die AfD zurückfällt, da diese ja die Bundesregierung (zurecht) dafür kritisiert, dass diese geltendes Recht und Regeln in aller Regelmäßigkeit missachtet, jetzt offenbar aber selbst aus Inkompetenz dazu nicht in der Lage ist und für sich selbst eine Sonderbehandlung einfordert, in einem peinlichen Zugeständis der eigenen Imkompetenz als „Anfänger“.

Es ist klar wie hier der Sachverhalt liegt und es ist auch klar, dass hier Köpfe rollen müssen, wenn wegen dieses Formfehlers die ganze Wahl in die Binsen geht. Vom Niveau rangiert das hier auf der Stufe der Rückzahlung der Parteifinanzierung durch die NPD seinerzeit, weil diese nicht mehr in der Lage waren ihre Finanzen und Rechenschaftsberichte vernünftig zu führen. Damals hat man sich zurecht über dieses dumme, unfähige braune Pack lustig gemacht  und jede Häme war angemessen. Bekanntlich braucht der, der den Schaden hat nicht für den Spott zu sorgen und das hat sich die AfD in diesem Fall ähnlich wie die NPD seinerzeit selbst zuzuschreiben. Da irgendwelche Verschwörungen zu bemühen wird niemanden täuschen. Und es wäre dringend an der Zeit, dass sich die Partei in der Form ihrer Schluderei langsam stellt, gerade dann, wenn man vorhat Regierungen zu stellen. Noch schlimmer als das Wahlergebnis könnte die sich ausbreitende Meinung wiegen, die AfD sei im Zweifelsfall gar nicht in der Lage die Verantwortung einer Regierung zu tragen.

Da hilft es im Übrigen auch nicht, wenn es ähnliche Vorfälle auch bei anderen Parteien gab, die sich im Übrigen auch der formalrechtlichen Satisfaktion stellen mussten, denn wir reden hier über einen Umfang und ein Ausmaß und das bei einer wirklich entscheidenden Wahl, dass man nicht beiseite legen kann. „Shit happens“ wie in diesem älteren Beispiel, geht hier einfach nicht. Etwas, das mich hier beinahe vor Wut platzen lässt.

Grundprobleme

Und das führt mich zu guter Letzt noch zu ein paar allgemeinen Punkten an denen die AfD krankt, mal den internen Richtungsstreit zwischen Bürgerlich-Liberalen, Konservativ-Reaktionären und National-Identitären und der Ost-West-Spaltung außen vor gelassen.

Die AfD bemüht sich redlich eine Alternative zu sein in Inhalten und Auftreten, also auch auf einen populistischen Stil zu achten, allerdings kann Populismus nicht unprofessionelle Verwahrlosung bedeuten. Man wird dafür gewählt auszusprechen, was die Leute wollen, Klartext zu reden und die inhaltsleeren Floskeln der anderen Parteien durch klarere Positionen zu ersetzen und auch Lösungen anzubieten, statt immer nur auf gute Hoffnung auszuweichen.

Was die Bevölkerung nicht schätzt ist eine Professionalität, die sich in nebelschwadigem Phrasendreschen ergeht, die sich der Alternativlosigkeit elitären Denkens hingibt und deshalb auf die Meinung des Volkes einen gepflegten Dreck gibt. Das ist, was an der klassischen „Professionalität“ der Politik kritisiert wird: gelackte, fassadenhafte Selbstdarstellung ohne Inhalt mit maximaler Volksferne.

Das bedeutet aber nicht, dass professionelles Arbeiten abgelehnt wird. Im Gegenteil. Das Vertrauen in die Problemlösungs- und Führungskompetenz der Politik ist es, die erschüttert ist. Man will Leute, die Klartext reden, denen man aber zugleich zutrauen kann, dass was sie versprechen, auch zu durchdenken und umsetzen zu können. Der große Unterschied zu utopischen linken Vorstellungen.

Und immer wieder lässt die AfD diese Professionalität vermissen: Sei es in der öffentlichen Kommunikation, sei es im Umgang mit internen Streitigkeiten, sei es bei der Organisation dieser Wahl. Populismus also schön und gut, aber man kann eine Partei nicht betreiben und führen wie einen hemdsärmeligen Kaninchenzüchter-Verein in Hintersachsen und dann noch überrascht sein, dass man damit nicht durchkommt und ausgelacht wird. Und es ist ja auch nicht so, als hätte man nicht wegen eines ähnlich gearteten Falls vor der Bundestagswahl nicht schon gewarnt sein können, um daraus zu lernen: „AfD in Niedersachsen muss zittern„. Es ist also nicht das erste Mal, dass es Unstimmigkeiten bei der Wahlliste gibt. So etwas darf schlichtweg einfach nicht in dem Umfang passieren.

Und das steht in Verbindung mit einem zweiten Punkt. Eine unglaubliche Arroganz, was gerade die letzten Wahlkämpfe anging. Schon der Europawahlkampf wurde einfach beiseite gewischt und der Kampf um ein neues, zukünftiges Bild von Europa nicht einmal annähernd frühzeitig eröffnet. Und dann stellte man sich nach dieser vergeigten Wahl hin und ging auch noch öffentlich dreist davon aus, dass die Wahlen im Osten jetzt ein warmer Regen, quasi ein Selbstläufer würden und wo steht man jetzt zeitlich relativ kurz vor den Wahlen? Der Wahlkampf ist immer noch nicht richtig in Fahrt, aber die AfD ist nun auf Gedeih und Verderb auf Erststimmen und damit auf eine enorm hohe Wählermobilisierung und -überzeugung angewiesen. Ob man das innerhalb der wenigen verbleibenden Zeit in kaum mehr 2 Monaten noch ausreichend in die Öffentlichkeit tragen kann, bleibt zweifelhaft. Die Partei ist jetzt darauf angewiesen, dass ihre Wählerschaft treu, stark und geschlossen ist und ihr den Arsch rettet und das obwohl man sich vorher kaum um sie bemüht hat.

Am Ende, auch wenn es in diesem Fall nicht so zutreffend ist, steht immer noch ein Mangel an gutem Personal im Raum. Die Bundesebene steht im Fokus aber auf Landes- und Kommunalebene versammelt sich das Gros aller Volksvertreter und damit die Möglichkeit mit dem Bürger direkt zu interagieren und dem politischen System auf der Ortsebene, dorthin wo die Bundesregierung gerne alle Ergebnisse ihrer verfehlten Politik auslagert (von Flüchtlingsheimen, über umgevolkte Stadtquartiere, marode Schulen und wirtsschaftlichen Untergang) dann kräftig in die Suppe spucken kann, in dem man sich dem schlichtweg verweigert und Alternativen aufbaut und anbietet, aber eben nur dann wenn man gute Leute und zahlenmäßigen Einfluss hat. Hier könnte längst der Aufbau einer basisnahen politischen Kontrakultur erfolgen, die auch metapolitisch ausstrahl in der sich zukünftig die utopischen Pläne von Landes- oder Bundesregierungen vor Ort totlaufen. Aber es fehlt massiv an Personal um all die Stellen zu besetzen, die sich jetzt dank des großen Wählervertrauens gerade im Osten auftun.

Am Ende sorgt all dies dafür, dass die Partei durch Unfähigkeit, Arroganz oder unterbleibende Aufbauarbeit (Mühen der Ebene) die Wirkmacht der Stimmen ihrer Wähler fahrlässig zum Fenster hinauswirft. Ich bin gespannt, wie man den Wähler beibringen will, dass dieser zwar die Partei vielleicht sogar mit einer Mehrheit der Stimmen ausgestattet hat, diese aber durch eigenes Verschulden kaum stärker ist als im Bund.

Die Alternative muss endlich in diesem Sinne professionell werden, Wahlkämpfe mit einem kämpferischen Elan angehen und sich in harte Struktur- und Nachwuchsarbeit versenken, ansonsten enttäuscht sie… immer wieder. Und aus Sicht eines klaren Sympathisanten und Wählers: „Ich bin es leid in Beiträgen oder Dskussionen Scherben aufzukehren und Peinlichkeiten zu verteidigen, die vermeidbar gewesen wären.“

In diesem Sinne, wenn die AfD diese Wahl gegen die Wand fährt dann aus eigen verschuldeter Unfähigkeit und Fahrlässigkeit. Wenn sie gut abschneidet, dann ist es ganz klar der Verdienst einer politisch aktiven und starken Wählerschaft.

Bayerische Kriechtiere und Nicht-Lösungen

Seehofer hat versagt, weil es ihm am nötigen Mumm, Kaltblütigkeit und Rückgrat gemangelt hat. Er ließ sich von Merkel das Heft mit illusorischen Nicht-Lösungen aus der Hand nahmen und entlarvt sich und die CSU als jämmerliche Kriechtiere von denen keine substanziellen positiven Veränderungen für Deutschland mehr zu erwarten sind.

Seehofer hat versagt, weil es ihm am nötigen Mumm, Kaltblütigkeit und Rückgrat gemangelt hat. Er ließ sich von Merkel das Heft mit illusorischen Nicht-Lösungen aus der Hand nehmen und entlarvt sich und die CSU als jämmerliche Kriechtiere von denen keine substanziellen positiven Veränderungen für Deutschland mehr zu erwarten sind.

Der größte Windbeutel der Republik ist bisher auf meinem Blog noch relativ ungeschoren davongekommen, dabei hätte sich schon früher angeboten über Seehofer zu schreiben. Gleichsam hat es sich nicht angeboten. Im Prinzip ist politisch von Seehofer rein gar nichts zu halten. Nicht erst seit wenigen Jahren sondern schon die ganze Zeit über. Der bayerische Löwe versucht zu brüllen und bringt nur ein klägliches Miauen zustande und rollte sich nach aller Bockigkeit immer wieder gerne auf dem Schoß von Mutter Angela zusammen. Wäre jetzt diese endgültig an Scham nichts auslassendem Schmierentheater in den letzten Wochen gewesen, ich möge mich dem Bayern-Thema gar nicht weiter annehmen wollen, aber die absurden Volten, die der ganze Vorgang gezeitigt hat, haben doch einen Kommentar verdient.

Seehofer muss man wissen gilt lange Zeit schon vor der Alternative für Deutschland als populistisches Herz Deutschlands und begründete die negative Konnotation dieses Begriffes stark mit, denn der Seehofer-Populismus richtet sich ähnlich wie die beliebige Alternativlosigkeit der Kanzlerin an wechselnden Stimmungen aus, allerdings mit der gleichen Bereitschaft diese fallen zu lassen, sofern damit nicht mehr viele Stimmen zu verdienen sind. Er verleiht hier nicht im Stil eines Volkstribun ungehörten Mehr- oder Minderheiten eine Stimme und setzt sich für diese Dinge ein. Die reine Ankündigung reicht meistens aus, um dann schnell zum nächsten Schauplatz zu wechseln. Wenn man nun der AfD einen Populismus nachsagen will, dann ist dieser zumindest von Überzeugung und Kohärenz getragen, berechenbar.

Hingegen wird Seehofer schon länger als Drehhofer, als Fähnchen im Wind verspottet und gleichzeitig als zahnloser bayerischer Tiger und als Ankündigungsminister(präsident) gescholten, der fordert oder angekündigt und beim ersten oder zweiten Widerstand klein beigibt. Insbesondere eben weil er die ohnehin geringe Macht (zumindest früher), die er hatte keineswegs zum Äußersten zu nutzen bereit war. Das mag man bei Petitessen wie der Maut verstehen, wo er diese CSU-Forderung nur schwer gegen Widerstände durchbringen konnte, dass er dafür nicht gleich die Regierung darüber dran gibt. Aber ein Thema wie die Migration, die wie kaum etwas anderes geeignet ist Deutschland irreperabel zu schädigen und das selbst in der eigenen Partei für massiven Unmut sorgen muss, hätte wohl allen Anlass und Grund gegeben auf Lösungen und ihrer konsequenten, nutzbaren Durchsetzung zu bestehen. Dafür hatte Seehofer auch die Strippen in der Hand. Als Innenminister unterstehen ihm sämtliche Behörden, die noch unter seinen Vorgängern auf deren Weisung auf Veranlassung durch die Kanzlerin, die Herrschaft des Unrechts, wie Seehofer selbst den Umstand der Grenzanarchie nannte, mitgeholfen haben diese aufzurichten oder still gehalten haben, während sie aufgerichtet wurde. Seehofer hätte die Möglichkeit gehabt mit einer entsprechenden Weisung nicht einfach nur Zurückweisungen, wie er es nur wollte, sondern bis hin zur Grenzschließung alles in die Gänge zu setzen die Herrschaft des Rechts oder zumindest die Kontrolle des deutschen Staates über seine Grenzen damit über sein Territorium durchzusetzen.

Lasst uns festhalten, dass weder die Grenzöffnung 2015, die massenweise Aufnahme illegaler Migranten und Flüchtlingen ohne Bleibeanspruch im Anschluss, noch das Fortdauern dieses Zustandes über ein Zeitraum von nun mehr drei Jahren in irgendeiner Form je gesetzmäßig war, im Gegenteil. Als Innenminister hätten dem bayerischen Horst nicht nur die Mittel, die nötige Machtposition, sondern auch die rechtliche und womöglich auch moralische Richtigkeit zugestanden, diesen Umstand abzustellen und das auch gegen den Willen oder die so genannte Richtlinienkompetenz der Kanzlerin. Er wird auf ihren Vorschlag hin ernannt und ist freilich von der Kompetenz abhängig, allerdings ist der Minister seinem Eid gemäß zwei Institutionen nämlich dem Staat und dem Volk und in seiner Funktion als Teil der Exekutive auch dem Recht verpflichtet. Die Verwaltung ist eben an geltendes Recht gebunden und kann nicht ohne solches und schon gar nicht entgegen bestehendem Recht handeln. Ein Minister kann damit leicht den Willen eines Regierungschefes abwehren, wenn er es denn so betonen würde, ungesetzlich, das heißt im Kern eigentlich verbrecherisch zu handeln bzw. sich zum Handlager der Verbrechen einer Regierung zu machen. Das ist die theoretische Positio von der ein Seehofer aus hätte handeln oder verhandeln können. Die Kanzlerin wäre im Prinzip nackt gewesen. Ein Rücktritt hätte sogar ausgeschlossen werden können. Die nötige Chuzpe vorausgesetzt hätte man sagen kann, man macht sich selbst mit dieser überwältigenden Macht des Rechts auf der eigenen Seite zum Märtyrer und zwingt die Kanzlerin dazu sich selbst zum Unrecht zu bekennen, in dem sie einen Minister deshalb entlässt, weil er nicht gegen geltendes Recht weiter verstoßen, im Gegenteil das geltende Recht wiederherstellen will.

Es wäre der Offenbarungseid und damit womöglich das Ende für Kanzlerin Merkel geworden. Zumindest waren es diese Gedanken, die die Kommentatoren die letzten Wochen dazu veranlassten, die Merkeldämmerung schon relativ düster einzufärben. Ihre Zeit sei vorbei. Meine Zurückhaltung diesbezüglich war eben der langen Historie von Seehofers kriecherischem Scheitern geschuldet. Mir war im Prinzip klar, dass auch diese Nummer nur eine leere Drohgebärde bleiben würde, selbst als er den Koalitions- und Fraktionsbruch androhte. Freilich hätte es anders kommen können, aber ich schätze Seehofer nicht ein, dass er dazu den nötigen Mumm haben würde. Sein politisches Vermächtnis bestünde in der Zerstörung der historischen Fraktionsgemeinschaft von CDU und CSU und wofür? Der ursprüngliche seehofersche Vorschlag sah ja nur die Zurückweisung von Leuten mit Einreiseverbot oder Registrierung in einem anderen EU-Land vor, angesichts der Lage kaum mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein. Der Koalitionsbruch wäre also praktisch für nichts erfolgt. Es wäre ein wichtiges Symbol gewesen und womöglich der Wendepunkt, aber dafür auf ewig als Spalter in die Polithistorie eingehen? Kaum vorstellbar. Allerdings wurden auch meine Erwartungen noch unterboten. Ich hatte eher damit gerechnet, dass Seehofer kleinlaut zurücktreten würde, schon gar nicht auftrumpfend, vielleicht in der Haltung des reuigen Büßers.

Stattdessen hat Seehofer auch noch meine ohnehin nicht schon hohen Erwartungen unterboten. Wenn wir mal dieses ganze unwürdige Schauspiel beiseite lassen, von wegen oh ich geb Merkel noch bis Ende der Woche, okay warten wir noch bis Asylgipfel, ja warten wir noch ein paar Tage und dann hier noch eine Notfallkonferenz und da noch ein Kompromissgespräch und das alles für eine Forderung die so lächerlich banal war, dass auch Merkels völlig absurdes, widerrechtliches Veto nur bedeutet, dass die Grenzanarchie um jeden Preis aufrecht zu erhalten ist, weil die Zurückweisung nämlich schon Fragen nach sich ziehen könnte, die Europa vielleicht dichtmachen lassen. Dieses unwürdige hinschleppen. Zeit einräumen nachverhandeln, zeigt auch jemandem in der Verhandlung, okay hier ist jemand der blufft nur und würde alles geben für irgendein Zugeständnis, weil er nicht zum Äußersten bereit ist. Seehofer war bereit auf hingeworfene Brocken zu warten. Manch einer verglich das schon mit dem Vorgang der Papstwahl in der Erwartung irgendwann würde im Kanzleramt weißer Rauch aufsteigen um anzuzeigen, dass man zu einer gemeinsamen Lösung gefunden habe. Lassen wir mal diesen ganzen peinlichen, ekelerregenden Prozess beiseite. Am Ende bekommt Seehofer eine Lösung von der er selbst einräumen muss, dass sie keineswegs lösungsgleich ist präsentiert, lässt sich dann mit der Erfindung einer bayerischen Illusionslösung dann doch abspeisen, weil er nämlich um dem ganzen die Krone aufzusetzen eben nicht einmal den Mumm hat zurückzutreten und Mutti Merkel in der Öffentlichkeit auch noch dankbar für den erreichten Kompromiss ist.

Seehofer hat sich damit endgültig a,s ein widerliches, schleimiges kleines Kriechtier entlarvt, dem ein Rückgrat und fundamentale menschliche Qualitäten fehlen, der sich herumschubsen lässt wie ein geprügelter Hund und nicht einmal mehr fähig ist zurückzubeißen sondern nur dazu seiner Herrin die Stiefel zu lecken und seine Karriere (es ist vorbei für den Horst nach dieser Legislatur und in München sowieso) ebenso kriecherisch beschließt, wie er sie jetzt schon die letzten Jahre gestaltet hat, anbiedernd, überzeugungslos und ohne den Mumm wirklich etwas durchzusetzen. Er und seine ganze CSU haben sich auf dieser Kriechtierebene genau in das verwandelt, was eine Partei wie die abgemerkelte CDU brauchte, nicht ein konservatives Gegengewicht sondern ein pseudo-konservatives Feigenblatt, flexibel genug um sich in der gleichen Brise zu wiegen, in die sich auch die Kanzlerin hineinlehnt. Und was am Boden liegt sollte man am besten auch noch treten.

Der Koalitionsbruch und auch der Fraktionsbruch wären, wenn auch späte, viel zu späte Zeichen einer Emanzipation, eines wirklichen Willens zum Neuanfang und zur Veränderung gewesen. Die CSU hätten sich in Richtung der AfD orientieren können, wenn es um Inhalte gegangen wäre. Sie hätte auch bundesweit antreten können, um vielleicht einen Kurz-Effekt mitzunehmen, auch wenn das schon unwahrscheinlich war wegen der fehlenden Infrastruktur in anderen Bundesländern. Aber wer weiß, vielleicht hätte die ein oder andere konservative Gruppe wie die Werte-Union Unterstützung leisten wollen?

Mitnichten, wie einige linke Medien oder Kommentatoren jetzt ätzen ging es hier um einen reinen Machtkampf für den bayerischen Wahlkampf. Zumindest nicht nur. Also nicht um Landespolitik die Bundespolitik als Geisel nimmt. Natürlich muss die CSU, weil an sie die Erwartung gerichtet ist ein rechtes Korrektiv zu sein, dies tun, um ihre Glaubwürdigkeit auch und gerade in Bayern nicht zu verspielen, aber es geht hier mitnichten um Landespolitik sondern um ein Feld der Bundespolitik, dass Deutschland im Ganzen betrifft. Auch wenn sicherlich die Landtagswahl im Freistaat und die Jagdarbeit der AfD der einzige Grund ist, die einen Seehofer und die CSU jetzt zum Handeln zwingt (was zeigt wie wichtig die AfD als Opposition in dieser Sache ist), so profitiert von der Wiederherstellung des Rechts an den Grenzen die ganze Republik. Die Gründe Seehofers sind da erst einmal zweitrangig. Doch die Nicht-Lösung, die jetzt gefunden wurde, die ist in der Tat in allen Facetten provinziell. Mal beiseite das das alles undurchdachter Schein ist, so gilt die Lösung doch auch nur für Bayern während die anderen Grenzen ohne Transit-Zentren bleiben würden. Seehofer hat sich nicht nur mit einem völlig wertlosen ebenso wenig wirkungsgleichen Deal wie dem vom EU-Gipfel ködern lassen sondern mit einer Lösung – Merkel kannte offenbar ihre Pappenheimer und ihre erbärmlich kriecherische Käuflichkeit) – die eben nur für Bayern wirksam wird und jetzt tatsächlich nur noch als Wahlgeschenk für den bayerischen Landtagswahlkampf verstanden werden kann. Während die bayerischen Bürger mit einiger Sicherheit nicht so dumm sind und auf diese Luftnummer hereinfallen werden.

Und die Krone setzt ja jetzt auch noch die SPD oben drauf, die diesen Nicht-Kompromiss und diese Nicht-Lösung in der letztlich überhaupt nichts beschlossen wurde, wegen bösen Lagerbildern und – man muss sich diese Idiotie wirklich auf der Zunge zergehen lassen – der Benennung dieser bisher als Transit-Zentren angedachten Lager jetzt auch noch vom Tisch fegen wollen. Das alte Problem, das wir schon bei den Jamaika-Verhandlungen hatten, ist jetzt wieder auf dem Tisch. Die SPD hat sich humanitär festgelegt und will Seehofer zulassen, dass ihm seine fast schon ätherische Nicht-Lösung zwischen den Fingern endgültig zerrinnt? Das werden für Merkel wiederum schwere Tage um jetzt diesen aufglimmenden Problemherd auch noch auszutreten. Es scheint tatsächlich immer unwahrscheinlicher zu werden, dass diese Koalition noch allzu lange stabil bleiben wird. Aber man hält sich ja schon Alternativen warm.

Das erste Fanal wird die Bayern-Wahl in einigen Monaten bereithalten und um das Kriechtier Horst und seine ganze Bande rückgratloser Feigenblatt-Konservativer zu demütgen, wünsche mir kaum etwas mehr als ein Schwarz-Rot oder Schwarz-Grün in München. Ich halte Söder zwar für machtbewusst genug vielleicht eine Koalition mit der AfD im absoluten Notfall in Betracht zu ziehen, aber ich glaube nicht wirklich daran. Deshalb mag ich mir wünschen, dass die CSU genug einbüßt und die FDP schwach genug aus der Wahl geht, dass nur Koalitionen mit Grünen oder SPD oder eben mit der AfD möglich werden und die stolzen Absolute Mehrheit-CSU nicht nur zu einer Koalition sondern zu einer Koalition mit Links-Grünen zu zwingen. Die Demütigung wäre final und die Entlarvung der CSU als einer Partei entweder der Umfaller oder des multikulturellen Establishments wäre perfekt, wenn Söder linken Parteien mit erheblichen inhaltlichen Diskrepanzen gegenüber einer bürgerlichen Partei mit größeren inhaltlichen Schnittmengen den Vorzug gibt.

Wer jetzt noch glaubt von der CSU sei eine konservative Wende zu erwarten, wie Dobrindt sie angekündigt hatte, der lebt in der gleichen Illusion wie Seehofer, dass eine Lösung gefunden worden sei.

SPD-Mitgliedervotum – Undemokratische Abstimmungen?

Derzeit stimmen die Mitglieder der SPD darüber ab, ob ihre Partei einer weiteren Großen Koalition unter Angela Merkel die nötigen Mehrheiten verschaffen soll. Der Modus des Mitgliederentscheides gilt als undemokratisch. Eine Analyse.

Derzeit stimmen die Mitglieder der SPD darüber ab, ob ihre Partei einer weiteren Großen Koalition unter Angela Merkel die nötigen Mehrheiten verschaffen soll. Der Modus des Mitgliederentscheides gilt als undemokratisch. Eine Analyse.

Politisch interessante Zeiten wie die unseren sind eigentlich beste Zeiten für politische Blogger. Eine Regierungsbildung, wie wir sie derzeit erleben, ist da schon bestes Material und treibt immer wieder neue Blüten, die einen dann doch dazu verleiten, von anderen Projekten abzuweichen, um sie zu pflücken.

Ich will gar nicht näher auf das unwürdige Personalgeschacher bei der SPD eingehen, das man eigentlich nur mit dem Prädikat selbstverschuldet belegen braucht, um alles dazu gesagt zu haben. Man kann sich halt nicht darauf verlassen, dass nach der Wahl gilt, was vorher versprochen wurde. Oder im Fall der SPD das nicht einmal das gilt, was man nach der Wahl versprochen hatte. Was uns nun zu dem Punkt geführt hat, dass die große, alte Partei dem System Merkel noch einmal eine Notbeatmung geben will, obwohl es nach dem Ende von Jamaika bereits nach Luft japsend an seine Grenze gekommen war.

Die Mitglieder dürfen darüber entscheiden, ob dem Koalitionsvertrag zugestimmt werden soll oder nicht und die Sache scheint keineswegs ausgemacht zu sein. Die Parteiführung und auch die Abgeordneten, das wird noch wichtig, haben ein deutliches Interesse daran, dass die Koalition funkioniert. Die altgedienten SPDler, die das Parlament und die Führungsgremien der Partei bevölkern, können vor allem Neuwahlen nicht gebrauchen. Angesichts der schleppenden Umfragewerte ihrer Partei, um es euphemistisch auszudrücken, müssten die meisten von ihnen um ihre Sitze und ihre Posten fürchten. Stattdessen kann man das Unabwendbare in der Hoffnung auf eine Trendwende noch hinausschieben, in dem man sich in eine Regierung rettet und sich dieses Engagement mit Ministerposten und vier weiteren Jahren Zugang zur Macht noch vergolden lässt.

Diesmal wäre Opposition vielleicht besser gewesen. Zumindest begann die wirkliche Talfahrt der Umfrageergebnisse genau dann, als Martin Schulz seinen kategorischen Ausschluss einer Großen Koalition aufgehoben hatte. Ein „Weiter so“ will das Wahlvolk offenkundig nicht. Und eine merkelsche Minderheitsregierung, die sogar spannend, ggf. auch nützlich für die Demokratie wäre, oder notfalls auch Neuwahlen erscheinen scheinbar als bessere Optionen.

Aber noch ist nicht aller Tage Abend. Wie vor 4/5 Jahren (2013) haben die Mitglieder der SPD es noch einmal in der Hand zu schauen, ob diese umstrittene Amtszeitverlängerung so noch einmal geschehen wird. Vor der Annahme des Koalitionsvertrages und damit der Regierungsbildung steht das Mitgliedervotum der SPD-Basis und noch sehr viel schlechter als noch vor vier Jahren steht es um einen positiven Ausgang. Das war damals schon keine ausgemachte Sache und das ist sie jetzt noch viel weniger.
Seinerzeit gab es innerhalb der SPD eine Begegnung von Basis und Parteispitze, die für ihr GroKo-Projekt werben und Klinken putzen musste, die man als demokratisch vorbildlich beschreiben kann. Das einzelne Mitglied musste angesprochen, erreicht, umworben werden, statt es als willfähriges Stimmvieh hinzunehmen. Im Ergebnis bekam die Neuauflage des Kabinetts Schwarz-Rot trotz der desaströsen Erfahhrungen der ersten Regierung Merkel, noch eine passable Mehrheit.

Anekdoten

Ironischerweise wäre seinerzeit dieses Mitgliedervotum nicht gewesen, wäre ich heute womöglich (noch) ein Mitglied der SPD und würde mich im Inneren eines Ortsverbandes schwarz ärgern und wie Guido Reil über einen Wechsel zur AfD nachdenken. Nicht etwa, weil ich seinerzeit gegen das Abstimmungsergebnis gewesen wäre. Im Gegenteil.
Nach der schon 2013 reichlich desaströsen Bundestagswahl, ich war da etwa 10 Jahre SPD-Sympathisant seit Schröder gewesen, dachte ich mir „Jetzt erst recht“ und wollte der Partei dann doch beitreten, gerade weil sie vielleicht neue Leute brauchte, um wieder hochzukommen. Dann wurde diese Befragung angesetzt und ich wollte dann nicht zu den Leuten gehören, die nur in die Partei eintreten würden, um das Wahlergebnis irgendwie zu beeinflussen, solche Leute gab es seinerzeit tatsächlich. Ich wollte daher bis nach der Abstimmung warten. Zunächst war ich auch dagegen einer neuen GroKo zuzustimmen, das fing schon damit an, dass ich eine tiefgreifende Antipathie gegen Frau Merkel an sich, als auch ihre Politik hatte und mir auch nach der zu Ende gegangenen Koalition mit der FDP klar war, dass die Frau ihre Koalitionspartner nur aussaugte.

Allerdings las sich das Koalitionspapier halbwegs vernünftig und es war ja schon damals versprochen worden, dass man Merkel quasi, vulgär gesprochen, zur Bitch der SPD machen würde, dass sie ordentlich was leisten und rausrücken müsste. Bätschi bevor es cool wurde, quasi. Im Endeffekt hatte mein linker Freund damals wohl eher Recht, als er schon prognostizierte, dass die SPD mit dem Kalkül baden gehen würde. Er favorisierte aber auch aus naheliegenden Gründen R2G.
Auf jeden Fall ging das Votum seinerzeit ja positiv aus und ich hatte privat dann im Anschluss noch soviel zu tun, dann war noch der Wechsel an die Universität vorzubereiten, usw. da schob sich der Parteieintritt dann nach hinten raus und dann brachen die Griechenland-Debatten wieder auf, die Migrationsdebatten begannen und ich entfremdete mich dann von der SPD. Wäre ich direkt eingetreten, vielleicht säße ich heute noch dort?

Was mir besonders in Erinnerung ist, war die mediale Debatte darüber, ob denn diese Mitgliederbefragung über einen Koalitionsvertrag denn überhaupt demokratisch zu legitimieren wäre. Und sie gleicht auf absurde Weise der heutigen Debatte, die um den neuerlichen Vertrag geführt wird. Ich hatte ja im vergangenen Jahr diesen Beitrag über Mari(on)etta Slomka und ihr Interview mit Christian Lindner geschrieben und ich hab mich erst nach Abschluss des Artikels daran erinnert, dass sie ja auch diejenige war, die 2013 dieses unglaublich furchtbare Gabriel-Interview verbrochen hatte, über das ich mich damals auch so fürchterlich geärgert hatte. Manch einer war ja der Meinung, dass hätte mir besser gefallen, weil es ja da die SPD traf und nein, sie war auch damals schon so doof. Da ich damals noch keinen Blog hatte, will ich mir an dieser Stelle mal das Vergnügen gestatten, mich in diesem Artikel mal mit diesem vermeintlich anti-demokratischen Mitgliedervotum auseinanderzusetzen.

Im Prinzip gibt es von Seiten der Kritiker zwei Herangehensweisen. Die vor allem damals sehr starke Herangehensweise war es zu sagen, dass mit dem Mitgliedervotum die demokratische Wahl des Wahlvolkes ausgehebelt würde, da schlussendlich die wenigen Mitglieder der SPD über die Regierung befinden und damit ihren Willen über den der allgemeinen Wähler stellen.
Heute liest man eher davon, dass die Entscheidung der Parteien und Parteibasis die Hoheit und Entscheidungsfreiheit der Abgeordneten breche. Während ich bei manch einem Kommentator klar von Heuchelei sprechen würde, muss ich anderen zugestehen, dass sie die quasi Entrechtung der Abgeordneten (durch Verlagerung der eigentlichen Entscheidungshoheit in die Parteien) schon länger kritisiert haben.

Das Mitgliedervotum übergeht den allgemeinen Wählerwillen?

Kümmern wir uns zunächst um das Wahlvolk, denn die Situation mit den Abgeordneten erscheint mir diffiziler.

Die Wahl ist das Königsrecht in einer Demokratie, der Staatsbürger definiert sich vor allem über dieses entscheidende Recht dazu, denjenigen einzusetzen, der über ihn herrschen soll in legislativer und exekutiver Hinsicht. In einer repräsentativen Demokratie entsenden wir Personen, die wir für Vertreter unserer Interessen halten, in den Bundestag bzw. Gesandte von Parteien, die wir für Vertreter unserer Interessen halten. Das führt aus meiner Sicht zu zwei grundlegenden Annahmen. Wir gehen einmal von idealen Voraussetzungen aus und klammern Nichtwähler, taktische Wähler und Wähler von Kleinstparteien aus. Dann gibt das Parlament ungefähre politische Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft wieder. Das bedeutet aber auch, soll die Wahl zwischen verschiedenen Parteien eine Relevanz haben, dass nicht jede rechnerisch mögliche Regierung tatsächlich auch einen, Achtung Unwort folgt, Regierungsauftrag erhalten hat, sondern das man von einem solchen Auftrag nur sprechen kann, wenn es tatsächliche inhaltliche Übershneidungen gibt, also tatsächlich ein geteilter Wille und nicht nur eine geteilte rechnerische Mehrheit vorliegt. Der Wille des Wählers einer bestimmten Partei seine Stimme zu geben, bedeutet dass diese Politik mit so wenigen Abstrichen wie möglich umgesetzt werden soll. Vertretbare Kompromisse sind daher nur mit denjenigen möglich, die zumindest ähnlich denken oder handeln wollen. Der berühmt berüchtigte faule Kompromiss zwischen ideologisch auseinanderliegenden Lagern muss zwangsläufig Wähler beider Seiten enttäuschen.

Die zweite Annahme ist damit zwangsläufig, dass Parteien daher zuallererst nicht allen Wählern verpflichtet sind, sondern zuvorderst nur ihren Wählern und das Gemeinwohl erst dann eine tragende Kategorie wird, wenn eine Partei tatsächlich Regierungsverantwortung übernimmt und selbst dann gilt demokratietheoretisch, also als ideales Konstrukt mit dem wir arbeiten müssen, der Wille der Mehrheit mit dem Gemeinwohl zumindest verwandt. Unter dem Schutz gewisser Minderheitenrechte versteht sich. Was auch hier bedeutet, dass dieser eine Mehrheit bildende Teil des Wahlvolkes den Ton angibt und auch angeben sollte, soll ihre Wahl etwas wert sein.

Das führt zu gewissen Problemen gerade in der letzten Zeit, wenn die Parteien austauschbarer werden. Die Großen Koalitionen der Merkel-Ära haben durch einen vorauseilenden Kompromiss-Diskurs sich beliebig gemacht, obwohl die eigentlichen Wählergruppen nach wie vor, von einem Antagonismus ausgehen, weshalb unklar ist, ob die Parteien an sich austauschbar geworden sind und damit ein inhaltlicher Regierungsauftrag tatsächlich erteilt wäre oder ob es sich nicht viel eher um ein Projekt der Parteiführungen handelt, dem die Wähler hilflos ausgeliefert sind. Geht man allerdings vom Wahlergebnis und aktuellen Umfragen aus, die durch Abstrafung vor allem einer der beiden Parteien, der SPD, auffallen und eine GroKo zunehmend rechnerisch verunmöglichen, scheint es keine Mehrheit, vor allem für eine linksdominierte, GroKo zu geben. Das wäre die allgemeine Stimmung, aber auch in beiden Parteien sogar diesmal, scheint sich das niederzuschlagen, in der SPD noch mehr als in der CDU (die vermutlich wegen der erwähnten faulen Kompromisse im Koalitionsvertrag auf die Barrikaden geht).

Wenn wir aus der Wahl also mit Sicherheit nur die Zustimmungsverhältnisse zu gewissen Parteiprogrammen sicher entnehmen können, bleibt grundsätzlich das Spekulieren über den Regierungsauftrag für eine bestimmte Koalition (bei einer absoluten Mehrheit wäre es hingegen eindeutig) ein Augurendienst. Wenn sich klare antagonistische Blöcke mit hohen Schnittmengen und klareren inneren Mehrheitsverhältnissen abzeichnen, kann man das noch halbwegs glaubwürdig als einen vom Wähler, nicht nur vom Allgemeinwähler sondern auch vom Parteiwähler, gewollten Regierungsauftrag ausdeuten. Bei den jetzigen Zuständen ist sowas völlig fragwürdig, zumal eine Große Koalition immer nur die Ausnahme sein sollte und innerhalb zweier Jahrzehnte zur Regel geworden scheint. Ich denke Martin Schulz hatte neben der reinen Polittaktik womöglich nach der Wahl einen Moment ehrlicher Einsicht als er für die SPD den Eintritt in eine weitere GroKo zunächst kategorisch ausschloss.
Nun müsste man also eigentlich, wollte man sich einen Regierungsauftrag bestätigen lassen, die Bürger noch einmal darüber abstimmen lassen, ob sie denn diese Regierung wollen und es müsste sich ja dann gemäß der Mehrheitsverhältnisse des Parlaments ja dann auch dafür eine Mehrheit finden lassen. Aber das wird natürlich keiner tun, man müsste dann nämlich auch überlegen, einen solchen Mechanismus grundsätzlich einzuführen. Das wird aber auch niemand tun. Es wäre aber auch nicht nötig. Zwar sagt man ja jetzt gerne, dass man statt allen eben nur die Mitglieder einer oder beider Parteien befragt und das undemokratisch sei, am Ende aber hat man vor allem über die letzten zwei Jahrzehnte niemanden vorher gefragt, ob er eine bestimmte Koalition haben möchte oder nicht. Aber niemanden zu fragen, gilt jetzt irrsinnigerweise als demokratischer als wenigstens einen Teil zu befragen. Die offensichtliche Idiotie dieser Aussage scheint den Kommentatoren nicht aufzugehen.

Aber nochmal: Es wäre nicht einmal unbedingt nötig alle zu befragen. Im Prinzip geht es nämlich nur um diejenigen Parteien und ihre Wähler, die die neue Regierung schließlich auch tragen müssen. Die Meinung der Wähler, die ja auch so nicht zur Regierung beitragen würden, ist wie auch im Parlament irrelevant, die sind als Opposition bereits verbucht. Nun wäre es sicherlich angebracht, wenn man alle SPD-Wähler bzw. alle CDU-Wähler befragte, aber das stünde vor noch größeren Problemen als eine allgemeine Zweitbefragung (wie dem Wahlgeheimnis) und steht auch in keiner Relation des Aufwandes. Hier kann man schon sagen reicht es das Votum der Partei und ihren Mitgliedern, der die Wähler ihr Vertrauen ja ohnehin geschenkt haben (und die ja auch einen Querschnitt der Wählerschichten im Gegensatz allein zu den Funktionären und Abgeordneten abbildet) anzuvertrauen. Es wäre definitiv demokratischer immerhin ein paar 100.000 abstimmen zu lassen, als niemanden, insbesondere wenn die Regierungsbildung so umstritten ist, wie es für die dritte Auflage der Großen Koalition unter Merkel scheint. Am Ende muss eine Partei ja auch vor allem dann für ihre Entscheidung gerade stehen, gerade wenn sie den Wählerwillen nicht im Blick hat, wie die SPD nach ihrer zweiten Merkelrunde im letzten September schmerzhaft erfahren musste.

Die Abgeordneten sind (auch) Emissäre ihrer Parteien

Das führt uns jetzt zu den Abgeordneten. Hier spielen aber nun noch ein paar mehr Dinge hinein, die eigentlich noch einmal einen eigenen Artikel wert wären, um zu untersuchen wie das Verhältnis von Abgeordneten zur Partei ist. Im Prinzip gäbe es da einen top-down und einen bottom-up Ansatz.

Bottom-up würde in dem Fall bedeuten, dass die Partei das Ergebnis des Zusammenfindens von Abgeordneten gleicher oder ähnlicher Gesinnung zur Zusammenarbeit (auch zur Absicherung der Wiederwahl und damit Fortsetzung der Zusammenarbeit) wäre. Sowas beobachten wir derzeit noch im europäischen Parlament wenn Fraktionsgemeinschaften neu gebildet oder aufgelöst werden. Als hier in Deutschland in der Paulskirche die erste verfassungsgebende Versammlung zusammentrat bildeten die Abgeordneten eigene Fraktionen, die sie in Ermangelung eigener Parteien eben nach den Wirtshäusern benannten, in denen sie sich trafen.
In den USA haben Politiker auch eine ähnliche Beziehung zu ihren beiden großen Parteien. Im Zentrum stehen die einzelnen Politiker und natürlich ihre Handlungsfreiheit und höchstens Gefallen und Loyalitäten. Republikaner und Demokraten sind, wenn man es auf den Kern runterbricht, nicht mehr als Wahl- und Interessenkoordinationsvereine über die eine Zusammenarbeit organisiert wird.
Etwas das zur größeren Unabhängigkeit der Kandidaten beiträgt aber auch dazu führen kann, dass ein Präsident auch in einem gewissen Antagonismus zu der Partei stehen kann, für die er angetreten ist, wie es im Moment mit Trump und den Republikanern der Fall ist.

In unserem demokratischen System bestimmt aber eher der Ansatz Top-Down das politische Geschäft. Die Kandidaten kommen in aller Regel aus der Partei und sind in sie eingetreten um Politiker zu werden, nicht umgekehrt, werden in der Regel von der Partei als Kandidaten aufgestellt (Parteiliste) oder durch die Partei unterstützt (Direktwahl) und selbst die Fraktionen bilden sich entlang der Parteigrenzen und nicht in Blöcken ähnlich gesinnter Abgeordneter, sondern die ähnliche Gesinnung wird mit der Gesinnung der Partei in eins gesetzt.
Während man sagen kann, dass die Vorstellung des unabhängigen Abgeordneten, der sich ähnlich gesinnte Verbündete holt, auf ein gutbürgerliches Verständnis zurückgeht, das dem Einzelnen Können, (Geld)Mittel und Zeit zur Betreibung einer politischen Karriere unterstellt, ist das Herkommen der klassischen Massenpartei eher proletarisch.
Das Interesse der Arbeiterschaft und seiner Vertreter liegt eher im kleinbürgerlichen Arbeitermilieu und entbehrt der Fähigkeit sich durch ausreichenden Besitz Möglichkeiten udn Zeit zur politischen Einflussnahme zu verschaffen. Wie auch im Arbeitskampf, wo die Masse der Arbeiter ein Gegengewicht zur Kapitalmacht des Arbeitgebers bildet, mussten die frühen Massenparteien auf eine breite Mitgliederbasis setzen, die über ihre Mitgliedsbeiträge die Parteikasse füllten und damit die Wahlkämpfe finanzierten sowie auf das Engagement vieler Hände und Münder, die Plakate klebten oder Mundpropaganda machten, etwas, das auch heute noch zur klassischen Mobilisierung in Wahlkämpfen gehört. Im Endeffekt ist es das in der Partei kooperierte Interesse der Basis, das einen Kandidaten aus den eigenen Reihen nach oben bringt. Nicht der Kandidat hat schließlich das Primat sondern die Partei, deren Sprecher er ist.

Es dürfte die Vermutung kaum abgestritten werden, das nicht einmal bei der Direktwahl Kandidaten gewählt werden, sondern auch Parteien. Wenn man sich regelmäßige Umfragen zur Bekanntheit von Politikern anschaut, dürfte man wohl kaum bezweifeln, dass das Gros der Abgeordneten abseits von Galionsfiguren der einzelnen Fraktionen weithin unbekannt ist und wohl abseits der Wahl auf eine bestimmte Partei wenig Chancen hat, aus eigener Darstellung gewählt zu werden. Und das muss nicht einmal allgemein gelten, selbst unter z.B. SPD-Wählern oder SPD-Mitgliedern ist wahrscheinlicht nicht jeder parlamentarische Abgeordnete mit Namen oder gar Gesicht bekannt. Ohne ihre Partei wären vermutlich viele unserer Volksvertreter nichts und so muss man berücksichtigen, dass die Parteien, das kann man durchaus kritisch bewerten, bei der Willensbildung des Volkes und politischen Repräsentation nicht nur mitwirken, sondern das System ganz klar auf sie zugeschnitten ist. Es ist der Status Quo von dem ausgehend der Mitgliederentscheid zu bewerten ist.

Man argumentiert, wie schon kurz angesprochen, dass der Abgeordnete durch das Votum seiner Partei, in seiner Entscheidungsfreiheit eingeschränkt wäre. Etwas, das sich auf die Gewissensfreiheit des Abgeordneten bezieht. Tatsächlich ist es so, dass der beschriebene Prozess der Abhängigkeit der Abgeordneten von einer Partei, die ihn überhaupt erst in den Bundestag gebracht hat, in dem sie ihm mit Mitteln, Wählern und Unterstützung ausgestattet hat, der Normalfall ist. So normal, dass der sogenannte Fraktionszwang, wenn auch schriftlich nirgendwo vorgeschrieben, doch so internalisiert ist, dass der erwähnenswerte Sonderfall ist, wenn dieser ausdrücklich aufgehoben wird. Der Fraktionszwang, das will ich an der Stelle nicht näher vertiefen, hat in einem Parlament wichtige organisatorische Aspekte, insbesondere beim Organisieren von Mehrheiten. Es verleiht der Partei im Parlament ein Bild von Einheit und somit von Stärke und trägt zu einer klaren politischen Profilbildung bei, auch wenn es überraschende Bündnisse, Kooperationsmöglichkeiten, mithin die Bildung von fraktionsübergreifenden Kompromissen erschwert oder verunmöglicht und im schlimmsten Fall die Fraktionsdisziplin zu einem Kadavergehorsam gegen das eigene Gewissen überziehen kann. Aber es ist nun einmal auch der Normalfall mit dem unser Parlament effizient und berechenbar arbeitet.
Abgeordnete sind nicht verpflichtet sich dem Fraktionszwang zu beugen und das wird auch nicht durchgängig getan, es kommt häufiger zu abweichendem Stimmverhalten einzelner Abgeordneter, die aus kollegialen Gründen der Fraktion aber vorher angezeigt werden und meist nur dann eine kontroverse Rolle einnehmen, wenn keine sicheren Mehrheiten zu erwarten stehen, also wenige Stimmen ganze Abstimmungen entscheiden können.

Da sich der Erfolg einer politischen Entität nun daran misst, wieviele politische Implementationen sie durchsetzen kann, ist es damit natürlich eine wichtige Frage für die Partei, ob die Abgeordneten diesem Ziel dienlich sind. Nun könnte man es noch komplizierter machen und Fragen danach stellen, inwiefern die Interessen der Parteiführung und obersten Parteiebene und die der Parteibasis und die der Wähler divergieren können, vor allem in unserer heutigen Zeit und man schauen könnte, ob der widerborstige Abgeordnete zwar gegen die eigene Führung arbeitet aber damit die Wähler anspricht (wie ein Wolfgang Bosbach bspw.), aber ich belasse es dabei zu erwähnen, dass Parteien natürlich in sich auch plural sind, etwas das ich in abweichendem Abstimmungsverhalten auch zeigen kann. Der Fraktionszwang der hierbei ausgeübt wird, ist natürlich, dass die Partei einem unbotmäßigen Abgeordneten die Unterstützung entziehen kann. Ihm wird ein weiterer Aufstieg in der parteiinternen Hierarchie ggf. verwehrt, bei der Besetzung von Regierungsposten nicht berücksichtigt oder bekommt bei der nächsten Wahl vielleicht nur noch abschlägige Listenplätze und muss mit einem Verlust seines Sitzes rechnen. Was man durchaus kritisch beleuchten kann, weil es ein starkes Instrument eben ist, um die Freiheit des Abgeordnetenmandats durch Androhung von Sanktionen zu beschränken, kann man aber aus meinen vorangegangenen Ausführungen als das gute Recht von Parteien werten, die schließlich auch ein Interesse haben, dass derjenige, den sie politisch hochgebracht haben, auch in ihrem Sinne arbeitet. Eine Kritik müsste wenn überhaupt dann sehr viel fundamentaler an der Rolle der Parteien generell ansetzen.

Aber auch hier gilt: Der Zwang kann faktisch sehr real sein, theoretisch aber hat der Abgeordnete jederzeit die Möglichkeit, eben unter Inkaufnahme der Verärgerung seines Fraktionsvorsitzenden und seiner Kollegen seine eigenen Überzeugungen über den Willen der Partei zu stellen, je nachdem, was er als eine Gewissensentscheidung für sich betrachtet, die ein solches Abweichen wert wäre. Und das gilt für jede Entscheidung. Auch die Wahl des Bundeskanzlers und damit das Einsetzen einer neuen Regierung unterliegt keinem stärkeren Zwang als die normale Abgeordnetenarbeit ohnehin, nur der Schaden für die eigene Partei könnte erheblicher sein. Das mag in der Vergangenheit vor allem zugetroffen sein, wenn man die eigene Regierung damit sabotiert hat, wie es seinerzeit in Hessen Frau Ypsilanti erging, die sich mit den Stimmen der Linkspartei zur Ministerpräsidentin wählen lassen wollte (obwohl sie das vor der Wahl ausgeschlossen hatte) und der die Abgeordneten aus der eigenen Partei schließlich die entscheidenden Stimmen verweigerten. Heute scheint die Sache anders zu liegen, gegenteilig, dass gerade eine erneute Regierungsbeteiligung, wie sie die SPD-Führung anstrebt, die Partei irreparabel beschädigen könnte, wenn die Mehrheit zustande käme. In der Basis dürfte sie sehr viel umstrittener sein, als bei einer Führung, die in Form von vier weiteren Jahren sicherer Posten und Sitze (anders als im Fall von Neuwahlen) von einer weiteren Koalition noch persönlich profitieren würde.

Umso absurder ist es den aktuellen oder damaligen Vorgang zu kritisieren, wenn sonst jede Regierungsbildung eigentlich darauf hinaus läuft, dass die Abgeordneten am Ende auch nur ihrer Parteiführung folgen und für die Regierung stimmen, die ihnen dort vorgeschlagen wird, was eben die Regel ist. Man sollte anmerken, dass natürlich kritisiert wurde, dass die Abgeordneten selbst bei den Koalitionsverhandlungen, die sie im Parlament mit ihrer Wahl dann absegnen müssen, kaum eingebunden sind, aber das scheint bei denjenigen, die jetzt das Votum attackieren nicht zu der Einsicht geführt zu haben, dass immerhin das eine Verbesserung ist, dass das Gebot für oder gegen eine Regierung zu stimmen nicht mehr nur von einer überschaubaren Funktionärsclique käme sondern von den Leuten (und Wählern) an der Basis der Partei, denen man gegenüber ohnehin gewissermaßen verpflichtet ist, weil sie eher den Wählerwillen allgemein repräsentieren und mehr noch als die Funktionäre selbst das Herz der Partei bilden, der die Abgeordneten ihre Karriere verdanken. Außerdem gilt weiterhin: Selbst wenn die Parteibasis ein Votum abgibt, ist kein Abgeordneter daran gebunden. Es ändert sich schlicht, wer über die Linie der Partei und damit die Wahlempfehlung für die Abgeordneten bestimmt, was in dem Fall aber eben mehr statt, wie kritisiert, weniger Demokratie bedeutet, da die Entscheidung von unten nach oben getroffen werden, statt von oben verordnet.

Wer also die Abhängigkeit von Abgeordneten und die Macht der Parteien für ein Problem hält, hat keinen Grund an einem Mitgliedervotum anzusetzen, sondern sollte und müsste grundsätzlichere Fragen stellen. Einen Mitgliederentscheid sogar noch als undemokratisch zu geißeln, verbietet sich völlig, da das Votum die Entscheidungsbasis in demokratischer Hinsicht überhaupt erst verbreitert, wo die Befugnis vorher bei einer überschaubaren Elite lag.

Kritik der geplatzten Träume

Was mich am Ende dieser Ausführungen auch noch zu ein paar freieren Vermutungen bringt. Sicher bilden sich an der Debatte wieder staatsrechtliche Fragen ab, die aber, wie beschrieben, sehr viel tiefer reichen müssten bis hin eben zur Stellung der Parteien in unserem politischen System generell, da sonst ja auch nicht danach gefragt wird, ob Abgeordnete überhaupt jemals in den letzten Jahrzehnten eine Regierung nach den hier offenbar angelegten Kriterien frei gewählt haben.

Ich habe natürlich keinen Beleg aber die Parallelen zum Jamaika-Vorfall im letzten Jahr sind sehr eindeutig. Ich erinnere mich noch gut an das mediale Vorfeld des Votums von 2013, dass ebenfalls, wie im letzten Jahr mit Jamaika, zu einem historischen politischen Projekt aufgeblasen wurde. Der SPIEGEL tönte seinerzeit angesichts der der demokratisch eigentlich bedenklichen Mehrheit von Schwarz-Rot im Bundestag bereits von einer Reformkoalition, die endlich große Investitionen, Reformen (auch an der Verfassung) und im ganzen Staatsapparat angehen könnte. Von Investitionen, zumindest der umfassenden und nachhaltigen Art, sieht man nichts und die großen Reformwürfe scheinen die Abschaffung von Grenzen und Rechtsstaat und der Weg in die europäische Transferunion zu sein. Liest man in der letzten Zeit aber die Kolumnen im SPIEGEL vornehmlich von Jakob Augstein und Georg Diez scheint man dort aber bekommen zu haben, was man wollte.

Als ähnliches gesellschaftliches »Fortschrittsprojekt« hatte man eben auch Jamaika schon gesehen und entsprechend wie enttäuschte Kinder auf die FDP eingeschlagen, als diese den schönen Wunschtraum platzen ließ. Deshalb drängt sich mir die Vermutung auf, dass man hier dieses, von Staatsrechtlern zurecht als problematisch empfundende Verfahren, als undemokratisch durch den Blätterwald zieht, um sich ggf. schon im Vorfeld eine Grundlage zu bauen, auf der man den abtrünnigen SPD-Mitgliedern dann die Leviten lesen kann. Die neuerliche GroKo würde eine Perpetuierung des derzeitigen Chaos und die Schaffung weiterer kaum reversibler Fakten bedeuten und das wäre vermutlich ganz im Interesse jener Journalisten, die auch nicht wüssten, was Merkel hätte anders machen sollen. Allein um zu sehen, wie und mit welchen Begründungen die Meute auf die arglosen SPD-Mitglieder losgehen wird, wenn diese nicht botmäßig wählen, wäre schon ein Grund sich das Scheitern des Koalitionsvertrages zu wünschen. Doch gibt es sehr viel drängendere Probleme, deren Lösung die SPD mit einem negativen Votum den Weg bereiten könnte. Es bleibt spannend.

Sankt Deniz – eine deutsch-türkische Liebesgeschichte

Der Deutschtürke Deniz Yücel wurde von einem zweitklassigen Kolumnenschreiber zu einem Politikum als er es wagte Erdogan zu kritiseren und als einer von vielen dissidenten Journalisten im türkischen Gefängnis landete. Zwar zum Vorkämpfer von Demokratie und Meinungsfreiheit stilisiert, klebt doch antideutscher Dreck an seinem Heiligenschein.

Der Deutschtürke Deniz Yücel wurde von einem zweitklassigen Kolumnenschreiber zu einem Politikum als er es wagte Erdogan zu kritiseren und als einer von vielen dissidenten Journalisten im türkischen Gefängnis landete. Zwar zum Vorkämpfer von Demokratie und Meinungsfreiheit stilisiert, klebt doch antideutscher Dreck an seinem Heiligenschein.

Viele Themen, einige Texte, wenig Zeit und doch reizt mich auch etwas zu Yücel zu schreiben. Im Prinzip wurde hierzu bereits viel geschrieben und und ich wollte ihn und seine Freilassung eigentlich in einem Papier mit dem Namen „Verlorene, missratene Landeskinder“ verarbeiten, der ein wenig in die Dimension der Staatsbürgerschaft hineingehen sollte. Ich werde das womöglich im Anschluss hieran noch tun und dann auf diesen Artikel hier verweisen, jetzt soll es aber erstmal nur um Yücel gehen. Der Grund für die ausführlichere Beschäftigung ist der inzwischen abgelehnte Antrag der AfD gewesen, den Äußerungen dieses Mannes eine offizielle Missbilligung auszustellen. Bevor wir in die Materie hineingehen, möchte ich sie bitten, lieber Leser, dass sie sich folgende Formulierung zu Gemüte führen (und bitte nicht allzu Ernst nehmen):

„Woran Mussolini, Stalin und Hitler gescheitert sind, wovon Ahmadinedschad, Goebbels und Arafat geträumt haben, übernehmen die Juden nun also selbst, weshalb man sich auch darauf verlassen kann, dass es wirklich passiert. Denn halbe Sachen waren nie jüdische Sachen, denn die wollten immer schon alles haben. Wegen ihrer Gier sind die Juden ja seit Jahrhunderten berüchtigt.
Der baldige Abgang der Juden aber ist Völkersterben von seiner schönsten Seite. Eine Nation, deren größter Beitrag zur Zivilisationsgeschichte der Menschheit darin besteht, Gier, Niedertracht und Ehrlosigkeit Namen und Gesicht verliehen zu haben, eine Nation, die seit jeher mit grenzenlosem Selbstmitleid, penetranter Besserwisserei und ewiger schlechter Laune auffällt; eine Nation, die Dutzende Ausdrücke für das Wort „Geld“ kennt, für alles Erotische sich aber anderer Leute Wörter borgen muss, weil die eigene Sprache nur verklemmtes, grobes oder klinisches Vokabular zu bieten hat, diese freudlose Nation also kann gerne dahinscheiden.

Nun, da das Ende Israels ausgemachte Sache ist, stellt sich die Frage, was mit dem Raum ohne Volk anzufangen ist, der bald im Nahen Osten entstehen wird: Zwischen Jordanien und Syrien aufteilen? Parzellieren und auf eBay versteigern? Palästinensern, Tuvaluern, Kabylen und anderen Bedürftigen schenken? Zu einem Naherholungsgebiet verwildern lassen? Oder lieber in einen Solarpark verwandeln? Egal. Etwas Besseres als Israel findet sich allemal.

Und das mag mancher vielleicht wahrlich bedauern, aber Josef Schuster [Anm.: Präsident des Zentralrats der Juden], den man, und das nur in Klammern, auch dann eine lispelnde, stotternde, zuckende Menschenkarikatur nennen darf, wenn man weiß, dass dieser infolge eines Schlaganfalls derart verunstaltet wurde, kann man nur wünschen , der nächste Holocaust möge sein Werk gründlicher verrichten.“

Würden sie das als eine Satire erkennen? Und wenn man es ihnen drüber schriebe, würden sie es als eine solche akzeptieren?

Man stelle sich nun vor, diese Aussagen hätten ein Herr Poggenburg, ein Jens Maier oder ein Björn Höcke während des politischen Aschermittwochs oder sagen wir gleich während des Karnevals von sich gegeben, man stelle sich vor, sie selbst hätten es gewagt im Duktus der Rechtfertigung von Satire zu sprechen und man stelle sich vor die konservative FAZ hätte sich hingestellt und gesagt, dass sei eben alles nur Satire gewesen und die Menschen verstünden einfach keinen Spaß, außerdem sei es gerechtfertigt gewesen, denn er hätte sich ja beleidigt gefühlt. Diese Personen wären geröstet worden und ein Sturm der Entrüstung bis hin zu Boykott und Forderungen nach den Köpfen der Chefredaktion oder gar Schließung der jeweiligen Zeitung wäre mit einiger Sicherheit hernieder gegangen.

Ich habe mir an dieser Stelle erlaubt diese Spiegelung, die freilich nicht meiner Ansicht entspricht, zu erstellen, in dem ich sie aus den kernigsten Stücken einer von Deniz Yücel verfassten polemischen Kolumne anlässlich der Sarrazin-Debatte und einer Äußerung über Sarrazin selbst komponiert und nur einige Begrifflichkeiten ausgetauscht habe. Im Original könnt ihr die Äußerungen hier und hier einsehen.

Satire und Polemik

Der antideutsche Tenor und die Verachtung, vielleicht auch der Hass, auf Deutschland, die Deutschen (zumindest jener Bio-Vollkornbrot-Deutschen, zu denen sich Herr Yücel trotz doppelter Staatsangehörigkeit, offenkundig nicht zugehörig sieht) erscheint offenkundig. Vielleicht ist es ja eine Übertreibung, eine Überspitzung, eine Satire eben. Was ist also laut einer Schnelldefinition von Wikipedia eine Satire im Kern:

„Satire ist eine Kunstform, mit der Personen, Ereignisse oder Zustände kritisiert, verspottet oder angeprangert werden. Typisches Stilmittel der Satire ist die Übertreibung. In der älteren Bedeutung des Begriffs war Satire lediglich eine Spottdichtung, die Zustände in sprachlich überspitzter und verspottender Form thematisiert.“

Mein Text oben kann also als Satire aufgefasst werden. Sie ist eindeutig auf bestehende Aussagen Yücels bezogen, verfremdet und spiegelt sie auf eine Gruppe, die wir normalerweise ebenso zurecht vor solchen Angriffen in Schutz nehmen würden und (was bei solcher Art Aussagen noch sehr schwer ist) übertreibt sie noch etwas. Ein Umstand wird verfremdet und durch die Verfremdung entsteht entweder ein humoristischer und damit entlarvender Blick oder eine neue, ggf. überraschende Aussicht auf die Dinge. Außerdem steht sie im Kontext dieses Artikels. Die wichtigste Eigenschaft einer Satire ist nämlich, dass der Satiriker die Aussage, die er benutzt, nicht ernst meint, sondern sie verwendet, um auf ein Problem aufmerksam zu machen, sich sogar dagegen zu positionieren.

Das Gegenteil der Satire ist damit die Polemik. Die Polemik ist ein wortgewaltiger, aggressiver oder verspottender Kommentar. Ein Umstand, eine Person, Organisation oder Veranstaltung, etc. werden dabei angegriffen und kritisiert. Empörung, Herabsetzung und auch das Luftmachen von Wut können Intentionen sein und auch aus den Zeilen sprechen. Eine gute Polemik formuliert spitz und setzt Übertreibungen wie die Satire auch als Stilmittel ein. Womöglich ist die Schärfe der Formulierungen nicht ernst gemeint sondern wird vom Autor eben nur als Mittel zur Unterhaltung seiner Leser genutzt (und besonders schlechte Polemiken können sich deshalb schon am Rand der Hetze oder Beleidigung bewegen), aber sie unterstützen die Aussage des Textes und konterkarieren sie nicht. Der entscheidende Unterschied nämlich zur Satire: Der Inhalt der Polemik ist ernst gemeint.

Eine solche Spiegelung hat auch Friedrich von Osterhal in einem aktuellen Video versucht und Emperor Caligula, den ich ein wenig supporten möchte, hat auch etwas zum Thema Yücel gesagt:

Krypto-Satire oder Witze, die nur Insider erkennen

Wenn wir uns jetzt das Machwerk von Yücel anschauen, so hat er dieses als Replik auf das Buch des ehemaligen SPD-Politikers Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ verfasst. Sarrazin beklagt darin den Verfall grundsätzlicher gesellschaftlicher Strukturen, insbesondere der Bildung, durch eine gescheiterte Integration, vornehmlich muslimischer Einwanderer und Bildung von Parellelgesellschaften, in denen, zugespitzt formuliert, der Wille zur Fortpflanzung und zum Kopftuch stärker ausgeprägt sei als die Intelligenz. Deutschland schaffe sich durch die Duldung und Vergrößerung dieser Strukturen schließlich ab. Das empfanden viele, insbesondere Migranten, womöglich nicht zu Unrecht, als Affront und als Angriff. Es darf davon ausgegangen werden, dass Herr Yücel sich wohl selbst als Betroffenen und Angegriffenen verstand und deshalb zum Gegenangriff überging und seinen als Kolumne, also Meinungsbeitrag, überschriebenen Text „Super, Deutschland schafft sich ab!“ als Antwort auf Sarrazin auslegte. Titel und Inhalt machen das klar.

Nun müsste man meinen, wenn es sich denn um eine Satire handele, er würde das Sarrazinische Migrantennarrativ, das Bildungsnarrativ und oder allgemein das Narrativ des baldigen Untergangs satirisch aufs Korn nehmen, spiegeln, übertreiben, ins Lächerliche ziehen, um zu zeigen, dass Sarrazin eben falsch liegt oder selbst übertreibt. Doch das geschieht nicht. Es finden sich nur wenige satirische Fragmente. So im dritten Absatz:

„Besonders erfreulich: Die Einwanderer, die jahrelang die Geburtenziffern künstlich hochgehalten haben, verweigern sich nicht länger der Integration und leisten ihren (freilich noch steigerungsfähigen) Beitrag zum Deutschensterben“

Was man als »Entlarvung« des Beklagens niedriger Geburtenzahlen zugleich aber Kritisierens der Fertilität von Migranten werten kann. Das wäre zwar nur in einer linken Weltsicht stichhaltig, aber es wäre wenigstens satirisch.

Doch es bleibt bei derlei Fragmenten. Die eigentliche Umkehr des Textes findet nicht an den Tatsachen statt, sondern in der Bewertung dieser. Während Sarrazin den Untergang Deutschlands beklagt, feiert Yücel ihn hier. Satirisch ist das nicht sondern eine alternative Sicht auf die Dinge, die sich in Wortwahl, Ton und Ausführlichkeit zu einer Schrift auswächst, die, zwar im vorgeblich lockeren Ton, doch eher die zynische Bitterkeit und Verachtung für das Deutsche an sich zum Ausdruck bringt. Die Vernichtungs- und Auslöschungsbegeisterung mag eben die angesprochene polemische Überspitzung sein, die sich auf den Buchtitel Sarrazins bezieht, aber sie hebt eben nicht auf, dass es sich um einen inhaltlich im Grunde deutschenfeindlichen Text handelt. Nichts, insbesondere der Text selbst nicht, weist indirekt darauf hin, hier stelle sich nicht ein in Ansätzen vorhandenes Ressentiments dar, dass zwar polemisch übertrieben, aber nicht humoristisch negiert wird.

Es ist daher völlig unverständlich wie sich Sascha Lehnartz, ein Kollege Yücels übrigens, von der WELT in seinem Beitrag „Ein Versuch, die AfD zu verstehen“ – Spoiler: Ihr wird schon im Abstract ein „Mangel an Ironie“ unterstellt – zu so einer Äußerung hier versteigen kann:

„Dass der Text dazu nicht geeignet ist, da er nicht vorgibt, Überzeugungen seines Autors zu spiegeln, hat in der geschlossen ironiefreien AfD-Fraktion niemand bemerkt. Die AfD regt sich künstlich über einen Text auf, der vor dem Hintergrund der Demografie-Debatte den gerade auf der extremen Linken kultivierten deutschen Selbsthass auf die Spitze treibt. Dazu macht der Text sich deren Position scheinbar zu eigen und überzeichnet sie.“

Aber eigentlich ist es nicht unverständlich. Im gleichen Dreck suhlt sich bekanntlich gut gemeinsam, denn Ulf Porschardt, Chefredakteur der WELT, hatte die Freilassung Yücels bereits gefeiert und auch über die Zeit der Haft hinweg kein kritisches Wort über das publizistische Vorlebens seines Märtyrers verloren. Was Lehnartz da angeht, uriniert man natürlich nicht dem eigenen Kollegen, insbesondere wenn der im Knast gesessen ist und vor allem nicht seinem Chefredakteuer auf die Gamaschen.
Yücels Text einschließlich des Titels beziehen sich auf den ihm verhassten Sarrazin und nehmen wenn überhaupt satirisch dessen Bedauern des Deutschen- oder Deutschlandsterbens aufs Korn, was eben zu einer Polemik über die Deutschen selbst gerinnt. Handele es sich tatsächlich um eine Satire, die stattdessen die Anti-Deutsche Szene angreift, wie hier behauptet wird, dann hätte er wohl diese und ihre Argumente, Schlagwörter aufgegriffen, sie überzogen, übertrieben. Stattdessen steht am Ende ein Text, der von dem eines Anti-Deutschen auch im Grundton der Verachtung überhaupt nicht zu unterscheiden ist. Das ist entweder Krypto-Satire – ein Insider-Witz des Autors selbst, den man dann scheinbar nur in den humortoleranten Redaktionsstuben der WELT versteht – oder Lehnartz versucht hier schlicht und ergreifend Unsägliches zu relativieren. Denken Sie an der Stelle noch einmal an meine Spiegelung vom Anfang des Artikels zurück und stellen sich vor Lehnartz hätte den gleichen Absatz dazu verfasst. Höcke der vermeintlich satirisch antisemtische Äußerungen aufs Korn nimmt. Was könnte man da nicht lachen? Macht euch locker!

Wie Friedrich von Osterhal in seinem weiter oben schon erwähnten Video ebenfalls angebracht hat, bewegt sich Yücel auch publizistisch in links-extremen, tendenziell deutschenfeindlichen Kreisen. Selbst bei aller Fantasie, den Text für eine Satire auf die Szene zu halten, in der Yücel schreibt, für die er publiziert und deren Gedanken er teilt und das in einem Beitrag, der als Kolumne und eben nicht als Satire überschrieben war, ist eine intellektuell völlig unredliche Interpretation.
Und wenn er tatsächlich etwas Verständnis aufbrächte, würde er womöglich begreifen, dass man auch wenig Lust hat sich nach »satirischen« Beschimpfungen als Dreckskartoffeln mit Kartoffeldreckskultur (frei nach Yaghoobifarah, Hengameh: Deutsche, schafft Euch ab!) oder „Köterrasse“, von Rechtswegen als einwandfrei bestätigt, noch einen Antideutschen als moralisches Vorbild vorsetzen lassen zu müssen. Womöglich spricht die AfD auch für diejenigen, die in einem Kontext solcher Äußerungen ebenso „zurückkeilen“ möchten. Versöhnlich gesprochen: Vielleicht kann man auch die anti-deutsche Gesamtsituation für all das verantwortlich machen?

Die Empörung des Autors über die normative Aussage Alice Weidels verfängt aber eben deshalb auch überhaupt nicht. Yücel selbst profitiert von der völlig entstellten Regelung zur doppelten Staatsbürgerschaft, obwohl die eine Hälfte seiner staatsbürgerlichen Persönlichkeit offenkundig für das steht, was er verachtet. Die Darstellung von ihm durch Gabriel als einen deutschen Patrioten – die damit zugleich kritisiert wurde – könnte falscher nicht sein.

Karikatur eines Kolumnisten

Und wie sieht es mit der Menschkarikatur Sarrazin aus, an der ein zweiter Schlaganfall sein Werk bitte gründlicher verrichten möge? Tja das wussten seine Kollegen ebenso einzuordnen. Einerseits sei auch dieser Beitrag, wenn auch schlechte, Satire und Deniz sei natürlich wütend auf Sarrazin gewesen:

„Könnte schon sein, dass ein im hessischen Flörsheim geborener Deutscher mit türkischen Eltern das persönlich nimmt und deshalb zurückkeilt.“

Nun will ich ihm das nicht einmal absprechen und kann das auch verstehen. Schon so manches Mal hat man ja auch schon Leuten Pest, Cholera, Tod an den Hals gewünscht, auch wenn Schlaganfall im Fall Sarrazins doch sehr plastisch war. Nun verleiten die modernen Zeiten auch dazu, den durch den Kopf zuckenden Impulsen schnell Wortgestalt zu geben und auf die Reise durchs Netz zu schicken. Hat man früher noch für sich geflucht oder bei einem Artikel wie dem vorliegenden die Hände über dem Kopf zusammen geschlagen, haut man heute schnell in die Tasten und ein Hasskommentar steht im Netz oder ein polemischer Blog-Post. Nun führt Yücel keinen Blog sondern schrieb eine Kolumne mit dem Titel „Nicht witzig“ für die taz. Der Beitrag musste formuliert, kontrolliert, redaktionell gegengeprüft und freigegeben werden und wurde dennoch veröffentlicht. Immerhin gab es eine Entschuldigung von Yücel und eine saftige Strafe an taz und man mag einem Verfehlungen auch nicht ewig vorhalten, doch kann diese Vorgeschichte ebenso wie die deutschenfeindliche Gesinnung bei der Bewertung der Figur #FreeDeniz eine Rolle spielen. Heute ist die Kolumne auf der Seite der taz auch nicht mehr zu finden.

Die zwei Ebenen der Bewertung

Bei der Bewertung des Falles gibt es da natürlich zwei Ebenen, die soweit ich gesehen und gehört habe, auch von der AfD eingehalten wurden.

Sittliche Verpflichtung zur Rettung auch eines missratenen Landeskindes

Der Mann saß in der Türkei aller Wahrscheinlichkeit nach zu Unrecht im Gefängnis, eben weil er es gewagt hatte, sich gegen das dortige immer autoritärer auftretende Regime zu äußern. Ein kritischer Journalist von denen es mittlerweile hunderte in türkischen Gefängnissen gibt und sicher auch einige weitere mit deutscher Staatsangehörigkeit. So geht die Geschichte und ich habe auch nicht Grund daran zu zweifeln.

Jetzt muss man eben missratene Landeskinder nicht mögen und man kann sich allein, was die eigene Beurteilung der Person eines Yücels oder anderer angeht, sicherlich zugestehen zu empfinden, dass er dort auch gerne im Knast verrotten könne, allein aufgrund der Antipathie, die dieser Mann erzeugt.
Es ist aber unstrittig, dass es eine rechtlich, moralische und auch sittliche Verpflichtung dafür gibt die verlorenen Kinder dennoch zu schützen. Wer sich dem Nationalstaat und seinem Schutz unterstellt hat, sprich die Staatsbürgerschaft erhalten hat (ob er sie nun verdient oder nicht) hat einfach um das Schutzprinzip des Staates zu wahren schon einen Anspruch und wir eine Verpflichtung dazu ihn aus solchen Umständen zu befreien. In meinem Fall, und ich war seinerzeit da auch auf Twitter mit einem rechteren Twitterer aneinander geraten, finde es auch eine sittliche Verpflichtung dann keinen „Deutschen“ (auch wenn er wohl nur ein Deutschländer ist), keinen Landsmann zurückzulassen, auch wenn es weh tut, zu wissen, dass er dasselbe für einen vermutlich nicht tun würde.

Aber in jedem Fall war es richtig und wichtig, Yücel aus dem Knast herauszuholen und sicher zurück nach Deutschland zu schaffen, genauso wie es nötig wäre, jetzt eben nicht nach #FreeDeniz zu vergessen, dass er nur einer von vielen Systemhäftlingen mehr ist, die noch unter Erdogans Regime einsitzen. Doch nach der Befreiung wird die kritischere Position jedoch wichtiger, die freilich schon aufkam, während er noch einsaß. Der Twitter-User Mondaffe brachte es ganz gut auf den Punkt als er schrieb:

Das Vorbild mit der fleckigen Weste

Doch kommen wir zur anderen Seite des Falls nämlich dem »Aushängeschild Yücel«. Es prasselt jetzt natürlich Kritik auf jene „rechten Trolle“ aber vor allem auf die AfD ein, die eben eine Kritik gegen diesen Mann vorbringen. Hat das nichts in der öffentlichen Debatte zu suchen, ist es nicht sinnlos und unverständlich, die geistigen Ausfälle irgendeines Journalisten zu sezieren? Ja wird der Fall Yücel denn nicht von rechts jetzt ausgeschlachtet? Dushan Wegner (gerne lesen und weiter verfolgen) schrieb in seinem Beitrag „Die Instrumentalisierung des Deniz Yücel„, das dessen politische Instrumentalisierung von links und durch die Medien falsch sei und updatete dazu, dass auch die Nutzung des Themas durch die AfD im Bundestag unwürdig sei. Dem will ich an der Stelle sanft widersprechen, auch wenn ich Herrn Wegners Grundtenor teile.
Jetzt muss man sehen, was zuerst kam und es geht hierbei nicht allein darum, wer angefangen hat, sondern um ein Bild und eine Geschichte, die in der Öffentlichkeit stehen.

Der Journalist, der sich kritisch zum System Erdogans geäußert hat und für seine offene, kritische Haltung höchstwahrscheinlich politisch motiviert ins Gefängnis geworfen wurde. Ein türkisches Gefängnis, welche man spätestens seit dem Fall Marko W. als nicht gerade erbaulich assoziiert, um es freundlich auszudrücken. Mit Yücel stehen eine ganze Schar an kritischen Journalisten in der Türkei vor dem Richter oder sitzen bereits wegen der Unterstützung des Putsches, terroristischer Vereinigungen oder ähnlich fadenscheiniger Vorwürfe ein. Doch ist ausgerechnet die Gestalt Yücels, freilich als Vertreter unserer Presse, das hiesige Gesicht für das Unrecht des herrschenden Erdogan-Regimes. Womöglich wäre ihm diese Aufmerksamkeit nie zu teil geworden und er wäre nur ein weiterer Journalist unter vielen, wenn er nicht gerade für die WELT und damit für den Springer Konzern schreiben würde. Ja gerade diese Tatsache dürfte das Einzige sein, was ihn aus der Masse anderer geknechteter Journalisten heraushebt. Ohne die von seinem Arbeitgeber initiierte #FreeDeniz-Kampagne wäre es wohl an der öffentlichen Aufmerksamkeit vorbei gegangen.
Auf etwas anderes als dieses Privileg stützt sich auch der besondere moralische Status nicht, der ihm inzwischen zugeschrieben wird. Es ist löblich, wenn sich eine große Zeitung und ihr Konzern bemühen, Druck für die Freilassung eines Kollegen aufzubauen, die Motive hier sind verständlich. Im Zuge der Berichterstattung über das ungerechte Schicksal, die Haftbedingungen und das Poker um die Freilassung verschwindet der wahre Yücel aber immer mehr hinter einer Scheinfigur, einem heroischen Vorkämpfer für die Demokratie, der sich als Lichtgestalt auch noch vor der Masse anderer inhaftierter Berufsgenossen abhebe.

Das sich aber die Bundesregierung insbesondere ein Außenminister einer Einzelperson mit derartiger Verve widmen, nimmt dann sehr durchsichtige Züge an. Sicher ist es Aufgabe und auch sittliche Verpflichtung, wie geschrieben, dass sich der Staat um die Freipressung unbescholtener Bürger im Ausland einsetzt, doch die Art und Weise wie Herr Gabriel sich sich um den Fall bemüht hat, lässt auf eine Teilnahme an der #FreeDeniz-Mythologisierung schließen. Ja er selbst baute Yücel ein noch höheres Podest, in dem er ihm das Prädikat eines wahren deutschen Patrioten verlieh, um dessen Rettung er sich daher besonders verdient machen konnte:

Und das sind zwei durch und durch politische Narrative. Ein bisher insgesamt besonders gegenüber der Türkei erfolgloser und nachgiebiger Außenminister, der es weder geschafft hat Erdogans machtpolitisches Eingreifen in Syrien noch seine Terrorunterstützung anzuprangern und zu verurteilen oder einzuhegen, der sich bei einem Flüchtlingsdeal, den Erdogan nicht einmal einzuhalten gedenkt, über den Tisch ziehen lassen hat, aber dennoch gute Miene zum bösen Spiel macht, kann so ein wenig den harten Mann markieren und einen dringend benötigten Erfolg vorweisen. Und Yücel wird als eine Art heimgekehrter verklärter Held oder Märtyrer, als wahrer demokratischer Patriot gefeiert, von der Presse und von den Parteien, die sich mit ihm als Ikone schmücken wollen. Das Feld ist damit inhärent politisch bestellt und es ist vielleicht nicht zwangsweise Aufgabe aber so doch ein wichtiges politisches, insbesondere metapolitisches Feld eröffnet worden, auf dem die AfD auch angreifen darf. Das eben um nämlich aufzuzeigen, dass man sich hier mit einem Mann schmückt, das man jemanden zum Vertreter eines guten Deutschland, eines guten Journalismus erklärt, der durch an Rassismus grenzende Deutschenverachtung aufgefallen ist, einem politisch Andersdenkenden (und hier sind wir wieder bei der Relevanz seiner Aussage zu Sarrazin) wortwörtlich den Tod gewünscht hat, der diesen Staat und sein Volk verachtet und verabscheut. Was setzt das für ein politisches Signal, wenn sich die Führung eines Landes also jemanden zu einem Vorbild erklärt, der dieses Land verachtet. Ironie, lieber Herr Lehnartz von der WELT lässt sich nur darin erkennen, dass er sich dann plötzlich nicht zu schade war, seinen Arsch von dem Staat retten zu lassen, den er gerne als „Rübenacker“ oder „Naherholungsgebiet“ zwischen Polen und Frankreich aufgeteilt sehe.

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Die politische Dimension seiner Freilassung

Und neben diesem metapolitischen Feld ist da auch noch ein ernsteres realpolitisches, außenpolitisches Feld. Wie wir aus den jüngeren außenpolitischen Erfahrungen mit der Türkei wissen, lässt sich Erdogans Deals gerne teuer bezahlen (ohne sich selbst unbedingt an seinen Teil der Abmachungen gebunden zu fühlen) und man soll glauben, dass die Freilassung eines Systemkritikers wie Yücel, von dem auch Erdogan weis, dass er politisch verwertbares Kapital in Deutschland ist, einfach so stattgefunden habe, weil Gabriel „bitte, bitte“ gesagt und mal mit dem Fuß aufgestampft hat? Auch wenn es Spekulation ist, dass will ich zugeben, erscheint es doch sehr wahrscheinlich, dass es um die Freilassung von Yücel herum, einen dubiosen Deal gegeben haben könnte. Zurückhaltung Deutschlands bezüglich des Angriffskrieges der Türkei gegen syrisches Territorium, der Unterdrückung der Opposition, Verfolgung der Kurden? Oder geht es sogar um handfestere Dinge, wie zum Beispiel einen Rüstungsdeal? Und wurde dieser hohe Preis allein für Yücel bezahlt, während andere Dissidenten in türkischen Gefängnissen verschimmeln können? Oder wird Erdogan sie zur Absicherung des Deals als Geiseln zurückhalten und peu a peu freigeben. Auch das ist etwas, dass in der besoffenen Freude über #FreeDenizIsFree scheinbar keiner so wirklich zu hinterfragen gedachte.
Inzwischen, so erfahre ich bei der Nachbearbeitung des Artikels aus dem Radio, wurde ein weiter Journalist freigelassen, darf aber noch nicht ausreisen. Peu a peu also vermutlich, sofern sich Deutschland an seinen Teil des Geschäfts hält.
Und noch ein Update während ich den Beitrag gerade im Editor publikationsfähig mache: Als die AfD anmerkte, dass man noch nicht wisse, wieviele Panzer für die Top-Geisel Yücel gedealt werden würden, gab es Gemurre im Plenum. Inzwischen kann man auch da schon klarere Rauchzeichen erkennen: Deal für Yücels Freilassung? Berlin genehmigte Türkei-Rüstungexporte.

Wenn die AfD jetzt also, insbesondere im Bundestag, wo auch die Außenpolitik ein Thema und Herr Gabriel, der sich politisch mit Herrn Yücel schmückt, rechenschaftspflichtig ist, auf das Thema aufsattelt, dann ist ihr am Ende des Tages allein deshhalb aus meiner Sicht kein Vorwurf zu machen. In einer anderen Sache, und da mag ich dann Herr Wegners Kritik doch wieder teilen, dann schon.

Die AfD hat zum Thema Yücel nämlich eine Gesprächsrunde im Bundestag ansetzen lassen und zwar mit dem Antrag an die Bundesregierung bezüglich den Äußerungen Yücels eine Missbilligung auszusprechen. Die großen Antagonisten waren freilich einmal die AfD, die in dieser Sache in einer, wie ich finde, guten Rede von Dr. Gottfried Curio vertreten wurde und auf der anderen Seite die Grünen in Vertretung durch Cem Özdemir, dessen Rede den rhetorischen und geistigen Tiefpunkt dieser Debatte und auch der bisherigen Legislatur darstellte. Wolfgang Kubicki hingegen hat, wie Herr Wegner auch bemerkt, eine recht ausgewogene und gute Rede zum Thema gehalten. Dem kann ich mich anschließen, auch wenn ich, verständlicherweise nicht alles Gesagte teile.

Antrag der AfD im Bundestag: Gemütlicher Schwabe wird zum Populisten

Verbleiben wir kurz, aber nur kurz bei Özdemir. Es dauerte praktisch nur eine halbe Minute, bevor er anfing nur noch – man kann es nicht anders ausdrücken – unqualifizierten, populistischen Scheißdreck von sich zu geben. Davor sagt er hingegen etwas sehr richtiges:

„Der Deutsche Bundestag hingegen benotet nicht die Arbeit von Journalisten und Journalistinnen“

Und damit hat er ganz Recht. Während es nicht ehrenrührig gewesen wäre das Thema Yücel und seine Aussagen mal in ein vollständiges Licht zurücken, die ganze Geschichte zu erzählen, wie Curio es ausdrückte und eben in Frage zu stellen, wie zum Beispiel ein Herrn Gabriel die Person Yücel »benotet« und das Narrativ vom Vorzeige-Patrioten und -Demokraten schürt, steht es einer Regierung, einem Parlament nicht gut zu Angesichte öffentliche Missbilligungen oder Rügen auszusprechen, mithin das journalistische Treiben obrigkeitlich zu kommentieren. Ein Umstand den Kubicki sehr viel besser und fundierter herausarbeitet.

Özdemirs direkt darauf folgender geistiger Ausfall: Zensur! Davon war nie die Rede und auch nicht beabsichtigt, Curio sprach das auch direkt so an. Der Antrag der AfD schoss nicht nur übers Ziel hinaus sondern war gänzlich ungeeignet für die Debatte. Ich weis nicht, ob es anders als über die Stellung eines Antrages möglich gewesen wäre, dass Thema in einer aktuellen Stunde einfach nur öffentlich zu diskutieren, dies wäre aber in jedem Fall die bessere Alternative gewesen.
Das die AfD aber die öffentliche politische Bühne als eröffnet betrachten konnte, habe ich ja bereits dargestellt.

Nun habe ich ja vom Antagonismus Curio/ Özdemir gesprochen und ich möchte Ihnen an der Stelle einfach mal die beiden Debattenbeiträge + zur Erbauung auch den von Kubicki einbinden:

Wie man erkennen kann, hält Curio eine durchaus vernünftige Rede und begründet auch den Anlass des Antrages der AfD entsprechend. Bis auf die Tatsache, dass eben dieser Bewertungsantrag gestellt wurde, ist daran soweit auch nichts auszusetzen, selbst wenn man mit der Begründung nicht übereinstimmt.
Özdemir bildet hier jedoch das komplette Gegenteil. Die erste Teil der nach der vernünftigen halben Minute folgenden Kritik ist der immer weiter ausgeschmückte und ausgedehnte Vorwurf der Zensur, obwohl Curio deutlich sagte, dass das weder das Interesse seiner Partei, noch das Ziel des Antrages sei, was faktisch richtig ist und auch nicht, dass sich der Bundestag jetzt neuerdings generell mit der Bewertung der Botmäßigkeit journalistischer Äußerungen belasten solle, sondern das es sich um einen besonderen Fall handele, der eben eine vollständige Erzählung der Geschichte verlange, die zumindest medial unterbleibe und munter politisch ignoriert wird.
Özdemir steigert sich hier in eine absurde Tirade darüber hinein, aus diesem Antrag sogar Parellelen zum AKP-Regime der Türkei herzuleiten, welches er, dass kann man anerkennend sagen, auch in der Vergangenheit immer wieder redlich angeprangert hat, etwas, was andere Grünen-Politiker sich nicht wagten.
Der Vergleich hinkt jedoch und ist absurd. Der verleumderische Vorwurf die AfD sei quasi die geistige Schwesterpartei der AKP leitet dann auch zum zweiten Teil des Bullshit-Parts über, in dem sich Özdemir in der Form eines populistischen Polemikers (und in einer Weise, die mir von einer bisherigen AfD-Rede zumindest nict bekannt wäre) zu immer neueren verleumderischen Tiefpunkten bewegt, wo der dezidierte Rassismusvorwurf den Kern der Anschuldigungen bildet und eigentlich nur meint, dass die AfD das Multi-Kulti-Weltbild, für welches wir angeblich in der Welt beklatscht würden – man google Baizuo und weiß, was man von solchen Aussagen zu halten hat – mit Verweis auf eine deutsche Identität des Volkes und die nationalstaatliche Prägung des Staates ablehnt.

Mithin da dem guten Herrn Özdemir von rechtsaußen gerne vorgeworfen wird er sei kein Deutscher sei mir an der Stelle der Einschub gestattet, dass man höchst selten bei linksdrehenden migrantischstämmigen Politikern, zumindest unserer heutigen Zeit, erlebt, dass sie von Heimat und von Heimatverwurzelung sprechen, von einer deutschen, hier schwäbischen Zugehörigkeit. Und Herr Özdemir hat auch regelmäßig die Interessen Deutschlands gegenüber einer fordernden und unbotmäßigen Türkei herausgestellt und sich Einmischungen des Bosporus-Staates verbeten. Ihm das Deutschsein abzusprechen, muss man in ein ähnliches Licht rücken, wie die Äußerungen aus migrantischen Kreisen bei ihm handele es sich um einen „Anpassungstürken“, an dem man, wenn es nach Erdogan ginge, einen Bluttest durchführen sollte.

Aus ihm sprechen hier also viel mehr seine politischen Überzeugungen mit denen sich auseinanderzusetzen alle mal mehr wert ist, als diesem unwürdigen Sermon noch über Diskussionen seiner irgendwie gearteten Zugehörigkeit weiteres Futter zu geben. Ich habe es eingangs erwähnt, dass mir zumindest keine AfD-Rede bekannt geworden ist (ich kann weder aus dem Bundestag noch aus den Landtagren alles verfolgen), die ein solches Niveau erreicht hätte. Im Prinzip spricht Özdemir, wenn man all das andere ausblendet, an den Aussagen der AfD völlig vorbei, unterstellt Dinge, die die AfD sogar ausdrücklich ausgeschlossen hat und ereifert sich praktisch auf der Grundlage einer vermeintlich der bundesrepublikanischen Ordnung innewohnenden Alternativlosigkeit von Multi-Kutli, die es als Staatsräson vielleicht knapp ein Jahrzehnt gibt, dass die AfD die Staatsordnung abschaffen und Menschen wie ihn deportieren wolle, während die AfD einzig die Rückkehr zum hergebrachten Staatsverständnis vollziehen möchte.

Eine Auseinandersetzung mit der AfD fand nicht statt, stattdessen eine wirre entgleiste Rede während der sich Herr Özdemir in Vertretung für seine grüne Partei vom gediegenen Anzugträger und gemütlichen Schwaben in einen Populisten reinsten Wassers verwandelte und auch so gebärdete. Herrlich absurd anzusehen. Womit ich dann auch den Artikel im Stile des lieben Deniz beschließen möchte.

Zum Abschluss bleibt somit nämlich nur noch anzumerken, dass Cem Özedemir, die hinter ihrem Rednerpult spastisch zuckende, stammelnd-sabbernde Karikatur eines Populisten ist, der mal jemand den Schaum vom Maul wischen sollte.

Satire oder Polemik? Entscheiden Sie.

Der blockierte Frauenmarsch – von Straßenterror, Staatsversagen und Demokratiefeinden

Der Staat versagt dabei das grundlegende demokratische Demonstrationsrecht zu schützen und macht sich zum willigen oder untätigen Handlanger von Antidemokraten in Parteien, Parlamenten und Redaktionsstuben und überlässt das Feld dem linksterroristischen Mob, der zukünftig darüber entscheiden könnte, welche Ideen, Parteien und Meinungen sich noch in der Öffentlichkeit vorstellen dürfen und welche nicht. Ein Rant anlässlich des #120db Frauenmarschs in Berlin.

Der Staat versagt dabei das grundlegende demokratische Demonstrationsrecht zu schützen und macht sich zum willigen oder untätigen Handlanger von Antidemokraten in Parteien, Parlamenten und Redaktionsstuben und überlässt das Feld dem linksterroristischen Mob, der zukünftig darüber entscheiden könnte, welche Ideen, Parteien und Meinungen sich noch in der Öffentlichkeit vorstellen dürfen und welche nicht. Ein Rant anlässlich des #120db Frauenmarschs in Berlin.

Ich muss sagen ich war gestern Abend, dem Abend des Samstags des 17.02.2018, doch reichlich sauer. Sauer genug um einem linksdrehenden Bekannten auf Skype die Inbox vollzuhauen mit Geiferungen, die er sinngemäß konterte mit „aber der Poggenburg hat doch“, und damit aber nur unsachdienlich vom Thema ablenkte. Nagut eigentlich ging es nur darum, dass ich geschrieben hatte, dass Pöbel-Siggi mit seiner „Pack, Mob und man muss sie einsperren“-Äußerung jetzt mal richtig gelegen hatte und er betreffs Pöbeleien dann schnell zu Poggenburg springen wollte. Btw. da ich eigentlich wenig Lust habe für diese dumme Entgleisung noch einen weiteren Artikel zu verschwenden: AfD-Vorstand mahnt Poggenburg ab. Und handelt damit endlich mal begrüßenswert richtig. Hoffentlich behält man das in zukünftigen solchen Fällen auch bei. Trägt vielleicht zur inneren Hygiene endlich auch mal was bei.
Aber zurück zum eigentlichen Thema. Da mir dies ziemlich auf den Nägeln brennt, auch nach einer Nacht Schlaf haue ich das hier lieber in die Tasten, als mich nur weiter still vor mich hinzuärgern.

Das Datum lässt schon erahnen, dass es um die 120 Dezibel-Demo (kurz #120db) in Berlin gestern geht. 120 Dezibel ist die Lautstärke eines Taschenalarms, den aufgrund der Zunahme der Bedrohung und physischen und sexuellen Gewalt gegen Frauen im Zuge der Migrationspolitik der vergangenen Jahre, immer mehr Frauen als notwendiges Übel in ihrer Handtasche mit sich führen. Der Frauenmarsch wollte anklagen, eine Politik, die diese Farce nötig gemacht hat und sich weigert die politischen Weichen dafür zu stellen, um diesem Umstand abzuhelfen. Dabei wollten die Veranstalterinnen auch eine Ergänzung für das in aller Munde befindliche #metoo sein, das wie die meisten Aktionen von FeministInnen neueren Datums auf diesem Auge blind ist. Und nicht etwa, wie verleumderisch kolportiert wurde, einheimische Gewalt gegen Frauen relativieren.
Da der Bias der ganzen Veranstaltung dabei natürlich rechter liegt als die linke Presse und Politik von ihrem Mainstream-Feminismus gewohnt sind, wurde das Ganze als eine rassistische und rechtsextreme Veranstaltung geframt und natürlich hat man im Vorfeld zu Gegen-Demos (was in Ordnung ist), Blockaden (was illegal und undemokratisch ist) und seitens der Antifa sogar zu Gewalt gegen die auf der Demonstration marschierenden Teilnehmer, also auch Frauen ggf. auch Alte aufgerufen und fühlte sich in seiner demokratischen, antifaschistischen Gesinnung bestätigt, gemeinsam mit dem roten Mob Haltung zeigen zu können. Die Frage nach der Legitimität der Veranstaltung, der Anliegen, der Ausrichter wurde gar nicht gestellt, auch wurde das ganze als AfD-Demo hingestellt, obwohl #120db eine ausdrücklich überparteiliche Veranstaltung war und auch nicht von der AfD als Partei organisiert (wenn aber auch unterstützt) wurde. Für mehr Informationen und einer FAQ zu den ganzen Vorwürfen empfehle ich an der Stelle die informative Seite der Kampagne.

Und nun also diese Demo in Berlin. Ich war selbst nicht da, Asche auf mein Haupt, habe aber den Verlauf dank der guten Dokumentation über Twitter und zeitweise im Livestream verfolgt. Und das Ergebnis war, in gewisser Weise, erwartbar. Auf Twitter machte sich heute morgen auch schon ein Teilnehmer der gestrigen Demo Luft, in dem er die Veranstalter direkt beschuldigte eine völlig aussichtslose Route genommen zu haben, statt zum Beispiel einen Demonstrationszug vom Hauptbahnhof aus zu führen, was aber ein Offenbarungseid gewesen wäre, angesichts eines Schaulaufens durch ein vor allem von Geschäfts- und Bürohäusern geprägtes Viertel direkt zum Kanzleramt. Eine sinnlose Veranstaltung. Aber man wäre ja dann wenigstens gelaufen!

Der vom Halleschen Tor aus startende Demonstrationszug, der zum Kanzleramt unterwegs war, wurde unterwegs blockiert, umgeleitet, wieder blockiert und später von der Polizei aufgeteilt, was die kurz darauf folgende Einkesselung nach der erzwungenen Auflösung der Demonstration noch erleichtern würde. Das Spielchen hatte ich als beobachtender Teilnehmer der IB-Demo im letzten Jahr im Juni in Berlin auch durch. Wir wurden auch damals nach wenigen hundert Metern durch eine illegale Antifa-Blockade aufgehalten, wurden dann mehrere Stunden lang festgehalten bis die Demo aufgelöst werden musste. Auch wir hatten damals einen Durchbruch versucht, nachdem die Veranstalter die Verantwortung abgegeben hatten, aber wir kamen leider nicht sehr weit. Sehr löblich, dass der Frauenmarsch hier den Durchbruch trotz mehrer Einkesselungsversuche geschafft hat und auch schließlich zu einer Abschlusskundgebung vor dem Kanzleramt noch mit etwa 500 verbleibenden Aufrechten zusammen kommen konnte.

Einen Vor-Ort-Bericht könnt ihr euch bei Blogger-Kollege Christopher Pietsch anschauen, ebenso in Form einer ausführlicheren Schilderung von Marie-Thérèse Kaiser‏, die beim Marsch in vorderster Reihe dabei war: „Meine persönliche Erfahrung beim Frauenmarsch in Berlin am 17.02.2018“

Die Presse feierte es natürlich trotzdem als einen Erfolg, dass die Demo nicht nur nicht wie geplant stattfinden konnte, sondern auch überwiegend demontiert worden war, wenn man die ganze Angelegenheit nicht ohnehin verschwieg, während man das Freikaufen von Deniz Yücel zu einer riesigen Show-Einlage aufblies, um mal die Relationen aufzuzeigen. Da hatte man eine angemeldete, legale und den Umständen gemäß friedliche Demonstration, politische Mitbürger, an ihrem Grundrecht auf Versammlung und ihrem Demonstrationsrecht in eklatanterweise beschnitten und man feierte es. Die Polizei hatte sich, wohlweislich auf Order höherer Ebene, dem Polizeipräsidenten, der freilich dem roten Innensenator von Berlin, Andreas Geisel (SPD), untersteht, nicht darum bekümmert ihrer Aufgabe nachzukommen, den Demonstrationsweg freizuhalten und von Blockierern zu beräumen. Und wer mehrere tausend Demonstranten einkesseln kann, aber das mit ca. 100 Blockierern nicht hinbekommt, um sie zur Seite zu schaffen und zu verhaften (dazu komme ich gleich) der will Letzteres nur nicht. Immerhin konnten die Beamten die Demonstranten vor gewalttätigen Übergriffen durch den linksterroristischen Mob schützen. Der Staat hat also faktisch vor denen kapituliert, die das Demonstrationsrecht anderer mit Füßen treten und Presse und Politik feierten es. Und nicht nur das. In Form von Abgeordneten der Linkspartei und der Grünen und vermutlich auch reichlicher Beteiligung von Parteigängern dieser und weiterer Parteien war das politische Establishment direkt in die Störung der Demonstration verwickelt, womöglich sogar an Blockaden beteiligt oder hatte im Vorfeld dazu aufgerufen. Sympathisiert haben sie allesamt mit den Störern. Und die Presse während Bürger und politische Konkurrenz von den Parteien an ihrem Demonstrationsrecht gehindert wurden? Die schwieg oder feierte es.

Und hier zeigt sich die eigentliche Krux. Aus meiner Erregung nehme ich mir mal das Recht etwas kontroverser zu sein: die (repräsentative) Demokratie wird an ihrer Basis ausgehöhlt, sowie durch linken Straßenterror und eine unfähige oder unwillige Staatsmacht unterlaufen. Ich drücke es klar aus: Was hier geschieht ist staatlich tolerierte und geförderte Demokratiefeindlichkeit und Straßenterror und mir könnte vor Wut gerade der Kragen platzen.

Dazu will ich dann doch etwas weiter ausholen. Ich habe wohl inzwischen unzählige Diskussionen in meinem Leben hinter mir, wo ich unseren demokratischen Status Quo in Schutz nahm, wenn es umfangreichere Kritik am Modus der repräsentativen Demokratie, der 5%-Hürde und ähnlichen Einrichtungen gab, die es schwierig machen, dass der Bürger eine aktive Rolle in der Politik einnehmen und aktiv Veränderungen herbeiführen kann, insbesondere bezüglich des Repräsentationsproblems. Nicht allein und auch nicht überwiegend mit Rechten, entsprechend auch nicht mit Leuten, die die Demokratie ablehnten, ganz im Gegenteil. Ob nun in der Schule, am Kolleg oder auch unter Kollegen und zuletzt auch im Studium. Meine Hauptargumente waren, dass wir neben der Wahl die Möglichkeit haben zu demonstrieren, Petitionen einzureichen, Bürgerinitiativen zu gründen und damit öffentlichen Druck auszuüben. Und wir hätten auch die Möglichkeit neue Parteien zu gründen, wenn uns die alten nicht anstehen. Ich sehe mich hier also durchaus in der Position eines sogenannten Systemlings, der zunehmend als Zyniker vor den Scherben eines doch immer auch teil-idealistischen Weltbildes steht und fortschreitend nur mehr mit immer mehr Verachtung und Wut auf das schauen kann, was er zuletzt verteidigt hatte. Die AfD als neue demokratische Partei und Kraft wird seit ihrem Erstarken in einer unwürdigen Art und Weise diffamiert und bekämpft, die es zweifelhaft erscheinen lassen, ob die Gründung einer neuen Partei, die die Republik seit Jahrzehnten nicht mehr durchmachen musste, tatsächlich legitim möglich ist, auch wenn sich dieser Prozess für die AfD als ein stärkendes Stahlbad erweist, zeigt es doch auch die Widerstandskräfte des Systems gegen Alternativen, insbesondere wenn diese gefährlich werden können. Doch selbst vor einem verfassungsgemäßen Recht wie der Versammlungsfreiheit, dem Demonstrationsrecht, wird inzwischen unverhohlen überhaupt nicht mehr halt gemacht. Hier wird es nicht nur erschwert, sondern komplett ausgehebelt. Der Staat versagt… und das womöglich aus Absicht.

Ich habe in meiner Lehrzeit in einer Stadt im südlichen Sachsen-Anhalt halbwegs regelmäßig, so wie es meine Zeit zuließ, an Demonstrationen gegen Rechts vor allem in Leipzig aber auch beim Gedenken an die Bombardierung Dresdens teilgenommen. Das waren Bürgerdemonstrationen, in der Regel Gegen-Demos gegen Aufzüge von Nazis. Echten Neo-Nazis. Auch nicht nur Klischeegestalten, wie man sie sich so ausmalt, stiernackig und kahlköpfig, geschmückt mit entsprechenden Symbolen, aber klar im Zeigen und Vertreten ihrer Gesinnung. Echte Nazis eben. Ich war nie Teil von Aufzügen und Blockadeveranstaltungen der Antifa und deren regelmäßiger in Schlägereien mit den Nazis oder der Polizei eskalierenden Aktionen. Ich fand sie damals auch schon gegen echte Nazis falsch, wenn es mich auch kalt ließ, das es ja doch irgendwo die „Richtigen“ traf, während es mich angesichts der Diffamierungen und Angriffe, denen unsere patriotische Sache heute ausgesetzt ist, wütend macht und anwidert.
Vielfach ging ein Unverständnis oder ein Hass auf die Polizei durch die Menge. Warum sie die Nazis schütze! Und natürlich die damit in linken Kreise verbundende Frage, ob die autoritäre, proto-faschistische Staatsmacht die Nazis damit decken wolle (ein Treppenwitz das Antifa und Grüne, heutzutage Frau Merkel und ihrer CDU den Rücken freihalten). Man hat nicht verstanden, dass die Polizei damit nicht ihre Sympathien für Nazis zeigt oder das die Regierung ihre Sympathie für Nazis zeigt, sondern dass hier ein wichtiges allgemeines Rechtsgut geschützt wird. Nicht Nazis wurden geschützt sondern das Demonstrationsrecht. Das Recht darauf, dass eine legale, angemeldete Demonstration sicher ist vor Angriffen und ungestört stattfinden kann. Und das ist auch der Unterschied zwischen einer legitimen Gegendemonstration, die durchaus auch das Recht hat sich in einer gewissen Entfernung eben zu platzieren und eine kommentierende Haltung zu einer anderen Demonstration einzunehmen und eben den Blockaden einer gewaltbereiten Antifa. Und es ist eben ein Unterschied von damals und heute, in denjenigen, die auf die Straße gehen, dem was sie fordern, der Brutalität und dem Hass, dem sie ausgesetzt sind und dem Tätigwerden oder eben nicht Tätigwerden der Polizei und das Unvermögen dem Demonstrationsrecht seine uneingeschränkte Geltung zu verschaffen, hinter der mindere Rechtsgüter eben zurückstehen müssen, weil diese Form der demokratischen Beteiligung als solche einem besonderen Schutz unterliegt und unterliegen muss.

Frank Covfefe, deutsche Twitterlegende und ebenso demonstrationserfahren, schrieb heute dazu:

Wenn selbst diese Grundform der demokratischen Beteiligung, das Organisieren in Vereinen, Verbänden und Initiativen, sowie das offene Werben und vor allem Demonstrieren für die eigenen Ideen, Ziele und Forderungen nicht mehr angstfrei, gewaltfrei oder überhaupt möglich ist, dann erodieren die Grundlagen eines Systems, dass auf den Schultern demokratischer Aktivbürger idealistischer Weise ruht und das vielmehr zeigt, dass es auf unerwünschte demokratische Mitbestimmung verzichten kann und dessen Stichwortgeber, Zeremonienmeister, Berichterstatter und Redner dies nicht etwa bedenklich finden, sondern es ausdrücklich begrüßen und befördern.
Und die Staatsmacht, die die Ordnung, aber vor allem das Recht oder vielmehr die Rechtsordnung zu schützen hat, kann nicht untätig bleiben, wenn sie tatsächlich von höherer Stelle und dann aus eindeutigem politischen Kalkül dazu angehalten wurde, nicht etwa das Demonstrationsrecht auch gegen Widerstreben durchzusetzen sondern im Gegenteil ihr Möglichstes zu tun, die Demonstration zu zermürben und aufzulösen. So macht sie sich zum Arm des im Zentrum der Macht hockenden Unrechts. Am Samstag waren es einige 100 Antifas, das mag schon eine Größenordnung sein. Seinerzeit im Berliner Sommer 2017 waren es wie Aufnahmen zeigten, 10 bis 20 Antifanten und der Polizei sei es angeblich nicht möglich gewesen die Blockaden zu beräumen und dem Demonstrationszug die Straße frei zu machen. Warum sollte man also nicht von politisch gewollter Untätigkeit ausgehen?
Auch wäre diese Art der Störung/ Blockade geeignet gemäß § 21 des Versammlungsgesetzes verfolgt zu werden. Keine Kleinigkeit, die auch mit bis zu 3 Jahren Freiheitsstrafe geahndet werden kann, was auch nochmal zeigt, dass es sich hierbei um ein wichtiges, robustes Recht handelt. Die Störer hätten ohne viel Federlesens festgenommen werden können und müssen und wenn sich, wie Gerüchte behaupten, Politiker an der Blockade sogar aktiv beteiligt haben, dann ist dies ein veritabler Skandal. Und hier träfe das Bonmot von Gabriel eben mal keine unbescholtenen Bürger, sondern hier geht es wirklich um Pack, Mob, Feinde der Demokratie, die man abführen und notfalls einsperren sollte.

Doch ich weis nicht, ob ich es nicht tatsächlich schlimmer/ skandalöser fände, wenn es doch an der Unfähigkeit der Staatsmacht liegt. Nur mal angenommen, der Innensenator und Polizeipräsident wären nicht aus ideologischen Gründen gegen die Demonstration eingeschritten, sondern hätten die Blockaden wegen der offenkundigen Gewaltbereitschaft und der Möglichkeit einer auch gewalttätigen Eskalation einer Räumungsaktion belassen und lieber die Auflösung der halbwegs braven Demonstration hingenommen. Welches Signal wäre das für das staatliche Gewaltmonopol, das Recht und die Demokratie? Das ein offen gewaltbereiter und terroristisch agierender Mob darüber bestimmen kann, was gesagt und demonstriert werden darf, dass er darüber befindet, ob grundgesetzlich verbürgte Rechte wahrgenommen werden dürfen oder nicht und das die Staatsmacht in vorauseilendem Gehorsam vor der gewalttätigen Selbstermächtigung kriminell agierender Banden kapituliert?

Im Prinzip gibt man das Gewaltmonopol und das Recht damit aus der Hand. Wenn der Staat aber im Hobbeschen Sinn als überwölbender Leviathan ausfällt, der die Rechte aller gleichermaßen schützt, werden die Einzelnen sich ihre Rechte wieder nehmen und dann nicht fragen, ob eine Polizei es ihnen erlaubt, so wenig eben wie die Demonstranten um Erlaubnis gefragt haben, ihren Marsch fortzusetzen und ihre Schlusskundgebung abzuhalten. Und das sind nur weiche Zeichen eines zivilen Ungehorsams. Doch der Respektverlust vor einer unfairen, untätigen, ungerechten Staatsmacht und damit verbunden steigender Wut, die den Rechten aber in jedem Fall mehr schaden als nutzen wird (man wartet ja geradezu darauf) könnte sich in Ungemütlichkeiten entladen, die womöglich manch eine Redaktionsstube dann erbeben lassen könnte. Das sie provoziert wurden, wird man dann aber getrost beiseite wischen. Blogosphären Kollege David Berger von Philosophia Perennis berichtete schon am 16.02. über Biker-Gruppen die ihr Kommen beim Frauenmarsch angekündigt hatten, um einen Schutzschild für die gefährdeten Frauen gegen die angekündigten Handgreiflichkeiten der Antifa zu bilden und wenn man dem oben verlinkten Bericht von Marie Kaiser trauen darf, dann waren wohl auch einige Kuttenträger vor Ort. Man braucht nicht viel Fantasie um sich vorzustellen, wohin so etwas im schlimmsten Fall führen kann. Antifa gegen Demonstranten und die Polizei mittendrin und dann auf beiden Seiten nicht als vertrauenswürdiger Dritter sondern als ungerechter Feind.

Die Weimarer Verhältnisse vor denen gewarnt wurde, sie werden von jenen Antidemokraten und Demokratiefeinden des Establishments, die sich am meisten darüber ereifern und davor warnen, herangezogen. Blut wird genau dann fließen, wenn man den Menschen die Hoffnung auf demokratische Institutionen und Rechte genommen hat und das möchte ich nicht erleben. Deshalb bin ich fassungslos und wütend und werde es wohl unter Umständen noch lange bleiben.

Rekapitulation: IYSSE-Vortrag „Der Aufstieg der AfD und die Lehren der 1930er Jahre“

Eine Rekapitulation des von mir besuchten Vortrags der IYSSE: “Der Aufstieg der AfD und die Lehren der 1930er Jahre” | Humboldt-Universität am 10.01.2018 // 18:30 Uhr. Gehalten von Sven Wurm. Mit längeren Einlassungen von meiner Seite.

Eine Rekapitulation des von mir besuchten Vortrags der IYSSE: “Der Aufstieg der AfD und die Lehren der 1930er Jahre” | Humboldt-Universität am 10.01.2018 // 18:30 Uhr. Gehalten von Sven Wurm. Mit längeren Einlassungen von meiner Seite.

Heute werden wir uns zur Abwechslung mal auf eine Reise in die Gedankenwelt linker Studentenparteien begeben. Gegen meine sonstige Gewohnheit habe ich gerade einen Ortsbesuch bei einer therapeutischen Sitzung der Partei IYSSE an der Humboldt Universität Berlin hinter mir. Ein Freund hatte mich darauf aufmerksam gemacht, dass dieses Treffen stattfinden würde und ich habe mich in einen Zug nach Berlin gesetzt, um dem abendlichen Vortrag zu lauschen und möchte euch natürlich auch an den dargelegten Gedankengängen teilhaben lassen. Weil ich einiges daran auszusetzen habe und weil das hier ein Beispiel für die Gedankenwindungen der linken Ränder sein soll, wird der Text eine relativ hohe Wiedergabe-Tiefe und damit Länge erreichen. Macht euch also am besten einen Tee oder Kaffee und nehmt euch eine akademische Halbe bis Stunde.

An der Humboldt finden demnächst die Wahlen zum Studentenparlament pardon Studierendenparlament statt und natürlich, wie das inzwischen in Hochschulkreisen üblich ist, besteht der übervolle Wahlzettel wahrscheinlich bis über die Hälfte aus linken Vereinen und Parteiungen. Man kann sicher fragen, wie viele linke Parteien man braucht und da muss man schon vorher wissen, dass links nicht gleich links ist und dass es da gravierende(!) Unterschiede gibt, zum Beispiel in der Frage, wie man sich nennen soll (kleiner Spaß so würde South Park das vermutlich auflösen) oder welcher Strömung der marxistischen Theorie und ihrer Erben man sich zugehörig fühlt, was auch wieder zur Frage nach dem Namen zurückführt, oder wie radikal man zu sein gedenkt. Der linksbewegte Student kann also bei einem breiten Angebot von den fast schon konservativ erscheinenden Jusos, über die Linksjugend bis hin zu marxistischen, leninistischen, stalin- oder maoistischen Sektierer-Parteien sein Kreuz machen. Und je nachdem ob er heute in revolutionärer oder reformistischer Stimmung ist, dann diese oder jene Geschmacksrichtung auswählen. Der Kapitalismus bietet uns 50 Sorten Zahnpasta, der Kommunismus uns etliche verschiedene Varianten seiner selbst an.

Natürlich ist angesichts der nahenden StuPa-Wahlen jeder dieser Vereine gewillt, sich vorzustellen. Und ich will auch darauf verweisen, dass dieser Vortrag als Teil des Wahlkampfes zu sehen ist und vielleicht auch deshalb etwas zugespitzter formuliert war, aber seht dann selbst. Und die IYSSE möchte das natürlich auch tun und hat eben zu diesem Vortrag geladen. Die IYSSE, das sollte man wissen, ist eine trotzkistisch orientierte, marxistisch-leninistische Gruppierung, eindeutig proletarisch-revolutionär eingestellt und internationalistisch ausgerichtet und sieht sich hierbei als Ableger einer von Trotzki angedachten 4. Internationale, die aufgebaut werden soll. Eine gewisse Berühmtheit, eher Berüchtigtheit, hat sich die Gruppe durch ihre Kritik an und Aktionen gegen den an der HU lehrenden und in linken Kreisen umstrittenen Jörg Baberowski sowie den ebenfalls an der HU lehrenden Herfried Münkler erworben. Es erscheint mir möglich, das ist aber nur meine Vermutung, dass die Studenten von IYSSE auch schon an der Münkler-Watch-Causa von vor einiger Zeit beteiligt gewesen waren.
Soviel zum holzschnittartigen Mindset dieser Leute. Warum ich mich überhaupt angesichts einer Auswahl von dutzenden solcher studentischer Kleinstparteien jetzt ausgerechnet zu diesem Vortrag bequemt habe, liegt nicht daran, dass ich sie für besonders einflussreich halte oder für besonders exemplarisch, auch wenn sie einen guten Eindruck davon geben, wie im Groben auch ihre Gesinnungsbrüder aus den anderen Gruppen ticken. Mein Grund dorthin zu fahren, war Titel bzw. Thema des Vortrages.

„Der Aufstieg der AfD und die Lehren der 1930er Jahre“ war die Überschrift des Ganzen und vortragen sollte mit Sven Wurm der Sprecher der Partei an der HU, seines Zeichens Student der Geschichte. Nun sind AfD und Nazi-Vergleiche nichts Neues aber mal wirklich eine ausformulierte historische Analogie erschien mir dann doch interessant anzuhören und man sagt ja: auch mal außerhalb der eigenen Filterblase schauen; also eben in die Bahn und dem Vortrag lauschen. Ich will redlicherweise anmerken, dass ich vorher freilich schon gewisse Erwartungen und Vermutungen hatte, wie die Bezüge und die Argumentation gefahren werden würden und wurde diesbezüglich auch nicht überrascht. Aber der Reihe nach.
Die Veranstaltung war relativ gut besucht. Ein etwas größerer Seminarraum war zu Beginn gut gefüllt. Einige wenige Nachzügler mussten dann noch mit dem Boden Vorlieb nehmen, bevor später ein paar Plätze frei wurden. Interesse war also vorhanden, wenn auch die vorderen Plätze mit Anhängern und einigen sichtlich älteren Gästen schon belegt waren. Natürlich präsentierte sich die IYSSE noch einmal und unser gegenwärtiger zeitpoltischer Kontext, insbesondere das Erstarken der AfD, wurde kurz erörtert, um dann zum eigentlichen Vortrag überzugehen. Filmen, Fotographieren oder Tonaufnahmen waren untersagt. Ich bin eher selten auf solchen Vortragsveranstaltungen und kann daher nicht beurteilen, wie üblich das ist, da es aber eine öffentliche Veranstaltung war, kann man dennoch nicht von klandestin sprechen, was aber natürlich die Wiedergabe des Gesagten trotzdem für mich jetzt etwas aufwendiger macht.

Den Vortrag selbst kann man grob in drei Teile gliedern. Zunächst einmal den Aufbau eines Gegenwartsnarrativs, dann eine folgende Gegenüberstellung der historischen Situation der Machtergreifung verbunden mit dem Implizieren einer Vergleichbarkeit und Parallelität der Vorgänge und schließlich eine Schlussfolgerung mit Maßnahmenangebot, dass dann auf Eigenwerbung für die eigene Partei und Bewegung hinausläuft.

 

Die Verrechtung der gegenwärtigen Gesellschaft

Die zentrale These des Vortrages bildete auch gleich den Aufhänger. Der Aufstieg der AfD, das stimmt auch soweit, kam nicht einfach irgendwoher, also nicht aus dem politischen oder ideologischen Nichts heraus. Dies umfasse im wesentlichen drei Linien, nämlich einmal, dass die AfD, dass ist sein direkt anschließender Punkt, aus anderen Parteien entstanden ist und von ihnen gebraucht bzw. genutzt würde, zweitens sie vor allem ein Symptom einer Krise des Kapitalismus sei und drittens wir die Vorlage des Vorgangs in der Geschichte des Aufstiegs der NSDAP der 20er und 30er Jahre finden würden.

Die Grundannahme, das ist wichtig sich zu verdeutlichen, ist schon, dass die AfD als politische Kraft vornehmlich als eine Funktionskomponente, als Rolle im kapitalistischen System zu begreifen ist. Sie als eigenständige ideologische und politische Kraft zu denken, findet praktisch nicht statt. Problemfelder des Kulturkampfes und des politischen Kampfes um die »richtigen« Lösungen wie die der Identität, der Kultur, der Integration oder verschiedener Präferenzen bezüglich der Staats- und Gesellschaftsorganisation werden aus der Betrachtung ausgeklammert. Zentrale Sichtweise ist hier, sehr klassisch marxistisch, eine ökonomisch-materialistische, die entweder all diese Probleme auf die Ungleichheit der Eigentumsverhältnisse und Systemübel des Kapitalismus zurückführt und mit seiner Beseitigung als erledigt ansieht oder als verschleiernde Nebelkerzen begreift, die vom eigentlich Problem, eben dem kapitalistischen System, ablenken sollen.
Dass das kapitalistische System grundverdorben ist und zwingend überwunden werden muss, wurde beim Zuhörer als geteilte Meinung vorausgesetzt und nicht weiter begründet, was glücklicherweise die sonst bei solcher Gelegenheit gerne auftretenden, langweiligen ökonomischen Debatten über systemische Vor- und Nachteile erspart hat, allerdings natürlich auch offen ließ, wie das bessere System denn nun aussehen soll und nicht nur wie man es revolutionär erreicht, aber ich denke bei Interesse kann man dazu sicher eine Publikation der IYSSE finden. Wir werden jetzt aber erst einmal mit dieser Grundbedingung weiter arbeiten

Herr Wurm ging dann in den ersten Teil hinein. Er wies daraufhin, dass für die Beurteilung der Herkunft der AfD allein schon die Anschauung der 90 Abgeordneten, die durch die Bundestagswahlen im vergangenen September in den Bundestag eingerückt waren, ausreichend sei. Diese würden sich zu einem nicht kleinen Teil aus ehemaligen Mitgliedern der anderen etablierten Parteien, vornehmlich CDU und FDP aber auch SPD und sogar einer Person aus der ehemaligen WASG (einer Vorgänger-Organisation der Linkspartei) rekrutieren. Ebenso das wir bei den AfD-Abgeordneten neben einer Nähe zum politischen, auch eine starke Nähe zum staatlichen Betrieb erkennen könnten, so kämen sie aus der Justiz, der Polizei oder dem Militär. Gruppen, die jede linke Parteiung freilich als kritisch betrachten muss.
Als Beispiel wurde dann Alexander Gauland herangeführt, der ein langjähriges CDU-Mitglied gewesen war. An der Stelle zitierte man auch noch einmal aus seiner Kyffhäuser-Rede („Leistungen deutscher Soldaten“) und verwies dabei auf Verbrechen der Reichswehr und der Wehrmacht und rückte die Aussage in die Näher einer Verherrlichung des Vernichtungskrieges. Ein zweites Beispiel gab Jens Maier mit seiner kürzlichen – zu verurteilenden – Beleidigung von Noah Becker als „Halbneger“ ab.

Doch war die AfD erst der Auftakt. Denn, so Wurm, solche Aussagen und Denkungsarten seien kein exklusives Problem der AfD sondern in allen politischen Parteien verbreitet und würden auch dort und generell immer freier geäußert. Es folgte dann eine Reihe von Beispielen.

Zunächst wurde hier Manfred Weber, CSU, herangezogen, der von einer finalen Lösung der Flüchtlingsfrage sprach, wo der Vortragende freilich nur auf semantischer Ebene die Verbindung zur sogenannten Endlösung der Judenfrage herstellte. Entweder intendierte und zumindest hingenommene Wirkung: Den Eindruck erwecken, hier plane ein Politiker die Deportation und Vernichtung von Flüchtlingen.
Mit der CSU ging es aber direkt weiter, denn als nächstes war Dobrindt dran. Dieser hatte sich kürzlich in einem Gastbeitrag für die Welt (leider kann ich dank Paywall den Artikel nicht im vollen Zusammenhang abrufen und bin daher auf andere Seiten angewiesen, die zitieren oder sinngemäß wiedergeben) für eine „konservative Wende“ ausgesprochen. Im Vortrag wurde jedoch die Formulierung „konservative Revolution“ scharf kritisiert. So als hätte Wurm direkt aus einem kürzlich erschienenen Beitrag des European abgeschrieben, wird Dobrindt allein für die Semantik des Begriffes angegangen. Konservative Revolution bezeichnet abseits des Wortsinns – und wir dürfen wahrscheinlich annehmen, dass Dobrindt den Wortsinn meinte, da er keinen Bezug zu Denken oder Theorien aus dieser Bewegung herstellt – eine historische lose Gruppe von Intellektuellen in der Weimarer Republik, die rechte Gesellschaftstheorien in Abgrenzung zum herrschenden demokratischen System der Republik entwickelte.
Das revolutionär bezeichnet dabei zunächst eine auf konservativen Werten basierende Gesellschaft her- oder wieder herzustellen, die der Bewahrung wert wäre. Manche sympathisierten offen mit den Nationalsozialisten andere arrangierten sich mit ihnen oder lehnten sie auch ab. Sie, gerade ob ihres geringen Einflusses zu der Zeit und des geringen Einflusses auf die nationalsozialistische Ideologie, da waren andere Theoretiker weitaus federführender, als Wegbereiter des Faschismus zu bezeichnen ist gewagt. Auch widerspräche das eigentlich der Argumentationslinie von Wurm, dass es nicht um Ideologie sondern um die Krise des Kapitalismus gehe. Aber tatsächlich forderte Dobrindt keine konservative Revolution, sondern nur eine konservative Wende. In einem späteren Artikel in der Welt wird er folgendermaßen zitiert:

„Darum formiere sich eine neue Bürgerlichkeit. ‚Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger.‘ „

Die Begrifflichkeit konservative Revolution wird analog zu den 68ern, auf die hier Bezug genommen wird, und die auch als 68er-Revolte oder 68er-Revolution bezeichnet werden, hier nur als etwas konstatiert, dass sich bereits vollziehe, nicht gefordert und nicht als ideologischer Begriff im Bezug auf die Konservative Revolution gebraucht. Herr Wurm und der Autor des European interpretierten die Stelle also falsch bzw. in einem auf Skandal abzielenden Sinn.
Aber auch die Kritik an den 68ern sei problematisch. Reichlich verkürzend, so wie es dann rhetorisch wieder gebraucht wird, reduziert Wurm die 68er vor allem auf eins: „Was hat sie ausgezeichnet?“, fragte er rhetorisch und benannte als das scheinbar einzige und wesentliche Anliegen, dass die alten Nazis angeprangert und rausgeworfen wurden. Die gesellschaftlichen Liberalisierungen, und deren Übertreibung, die Verlinkung der Institutionen und die Erlangung hegemonialer Diskursmacht, insbesondere peu a peu in den letzten Jahrzehnten, die allesamt Folgen der 68er waren und die Dobrindt klar auch in seiner Forderung nach einer ausgleichenden Rückkehr des Bürgerlichen adressiert, klammerte er aus. Logische Konsequenz, verpackt in eine weitere rhetorische Frage: Wen sich Dobrindt hier denn zurückwünsche? Die dem Publikum implizierte Antwort: Die Nazis. Muss man wissen.

Und mit den Nazis als Überleitung wird dann der verhasste Dozent Baberowski aufs Korn genommen. Der ist zwar dann in der anschließenden Diskussion auch noch einmal Thema gewesen, aber ich werde mich an den Vortragsablauf halten und das hier splitten. Angeführt wurde ein Interview „Die Linke macht den Menschen wieder zum Gefangenen seines Stands“ erschienen am 20.05.2017 bei NZZ Online, das sich sogar ausdrücklich auf den Konflikt mit IYSSE bezieht.

Angeführt wurde vor allem eine Formulierung, nämlich die Legitimation durch einen toten Diktator. Vollständig zitiert, dieser Abschnitt:

„Die Achtundsechziger setzten sich mit den Schrecken der Vergangenheit auseinander, aber sie legten zugleich den Grundstein für die Moralisierung des Politischen, indem sie entschieden, worüber und wie über die Vergangenheit noch gesprochen werden konnte. Seither ist der Widerstand gegen einen toten Diktator Legitimation genug, um sich moralisch über andere Menschen zu erheben. Alle anderen Bevormundungsstrategien folgen dem gleichen Muster. Wer über Rassismus, Kolonialismus, über Krieg und Frieden oder das Verhältnis der Geschlechter anders urteilt, als es der hegemoniale Diskurs erlaubt, wird moralisch diskreditiert.“

Baberowski spricht hier über Bevormundungsstrategien, Herr Wurm stellte es so dar, als wolle er Rassismus wieder sagbar und salonfähig machen, und bestätigte damit sogar eindrücklich, was Baberowski in dem Interview tatsächlich zum Ausdruck brachte. Es wird von ihm nicht kritisiert, dass Rassismus (et al.) nicht salonfähig oder sagbar ist, sondern dass die 68er bzw. in diesem Fall ihre Erben durch die Übernahme der gesellschaftlichen Hegemonie sich anmaßen allein darüber zu bestimmen, was rassistisch (et al.) sei und was nicht und damit nach Belieben Leute als Rassisten brandmarken und damit verächtlich machen können. Etwas das Wurm hier an Baberowski vornimmt, der allerdings mit einer Iranerin verheiratet ist und an anderer Stelle (ZEIT 16/2017) die multikulturelle Gesellschaft ausdrücklich begrüßt hat.

Aber dann war Schluss mit rechten Politikern und als nächstes bekamen dann linke Parteien ihr Fett ab. Zunächst Sigmar Gabriel. Dieser hatte im SPIEGEL einen Gastbeitrag mit dem Titel „Sehnsucht nach Heimat„, erschienen am 18.12.2017 auf SPON, untergebracht. Unter anderem stellte er für die SPD damit die Leitkulturfrage. Anlass für Wurm darauf hinzuweisen, dass sich hier eine Position der rechten CSU inzwischen auch in einer linken Partei durchsetze.

Außerdem habe Gabriel im Rahmen des Forums Außenpolitik der Körber Stiftung aus Sicht Wurms eine neue Großmachtpolitik Deutschlands gefordert. Auf der Checkliste können wir damit Imperialismus und Militarismus auch abstreichen. Der Text der Rede ist über die Seite des Auswärtigen Amtes abrufbar, besonderes Augenmerk Wurms zog dieser Abschnitt hier auf sich:

„Aber die Welt ist seitdem weit unbequemer geworden als wir am Ende des letzten Jahrhunderts und zu Beginn des 21. Jahrhunderts dachten. Und nun merken wir, dass es selbst bei großer wirtschaftlicher Prosperität in unserem Land keinen bequemen Platz an der Seitenlinie internationaler Politik mehr für uns gibt.

Weder für uns Deutsche noch für uns Europäer.

Wir müssen einsehen: Entweder wir versuchen selbst in dieser Welt zu gestalten oder wir werden vom Rest der Welt gestaltet.

Werteorientierung, wie sie gern von uns Deutschen für unsere Außenpolitik in Anspruch genommen wird, wird allein jedenfalls nicht ausreichen, um sich in dieser von wirtschaftlichen, politischen und militärischen Egoismen geprägten Welt zu behaupten.“

Gabriel nimmt hier Bezug auf Thesen Herfried Münklers. Eine scheinbare Abkehr von der Wertepolitik, wie sie hier propagiert würde, schmeckte dem Vortragenden gar nicht. Nun kann man sagen, dass es zum Allgemeingut gehören sollte, dass Staaten vor allem eines haben: Interessen, auch Werteinteressen und das nur weil wir darauf verzichten unsere zu erkennen oder durchzusetzen, es andere uns nicht automatisch gleich tun werden. Wir schaffen einzig einen Raum, in dem andere ihre Interessen, vielleicht reibungsfreier, wahrnehmen können, diese Interessen aber nicht mit unseren kongruent sind. Einzig auf Werte, ohne unmittelbare Durchsetzung bzw. Verteidigung, zu setzen, erscheint zwangsläufig naiv, angesichts von Mächten wie Russland, China oder auch den USA, die bereit sind ihre wirtschaftlichen, territorialen oder auch ideologischen Anliegen mit wirtschaftlichen oder militärischem Druck durchzubringen. Das impliziert bereits, dass jemand, der an diesem Spiel nicht teilnehmen möchte oder kann (bspw. durch eine schwache außenpolitische Position, wie sie inzwischen viele europäische Staaten gegenüber Supermächten wie den USA und Russland haben) und sich nicht einmal mehr des Verbundes mit Verbündeten, wie einem unter Trump unsicheren Amerika, sicher sein kann, in einer solchen Welt fremdbestimmt wird, wenn er nicht anfängt, selbst die Stimme zu ergreifen. Das ausgerechnet jemand, dem ich unterstellen würde, dass er einen us-amerikanischen Imperialismus anprangert, diesen Zusammenhang nicht sieht, erstaunt und bedient eher das eigene Narrativ von der vermeintlichen Wiederkehr des deutschen Imperialismus und Militarismus. Denn eine weitere ausgesuchte Stelle aus der Rede, die Wurm präsentierte, ist folgende:

„Ich finde, Münkler legt hier den Finger in die Wunde. Man muss aber auch daran erinnern, dass die Zeit, in der Deutschland sich strategische Ideen hat einfallen lassen, recht ungemütlich war für die anderen.“

Wurm ließ den Begriff „ungemütlich“ für einen Moment im Raum schweben, spuckte ihn danach mit gespielter Fassungslosigkeit aus, um seinem Publikum dann seine Deutung zu vermitteln. Aus Sicht Wurms waren die Momente, wo Deutschland sich „strategische Ideen“ hat einfallen lassen, nicht etwa vor allem ein außenpolitisch sehr aktives langes 19. Jahrhundert, in dem Deutschland sich auf der weltpolitischen und nicht nur innereuropäischen Bühne hervortun wollte und damit Konflikte mit den saturierten Großmächten zwangsläufig provozieren musste, sondern strategische Ideen seien die zwei Weltkriege gewesen. Wenn man Krieg als die Fortführung der (Außen)Politik mit anderen Mitteln begreift, dann mag an dieser Deutung vielleicht etwas dran sein, aber ich würde doch bezweifeln, dass Herr Wurm dieser Ansicht ist. Vielmehr, weil es in das Militarismus-Narrativ passt, stellte er es so dar, als wolle Gabriel mehr Kriege und als hätte er die vergangenen Verheerungen mit der Wortwahl „ungemütlich für die anderen“ schamlos verharmlost, obwohl das Zitat das nicht hergibt.

Und um ja niemanden zu verschonen, war zu guter Letzt auch noch die Linkspartei dran. Kronzeuge der zunehmenden Verrechtung war hier Dietmar Bartsch. Dieser hatte im Hauptstadtstudio der ARD nämlich Herrn Gabriel sekundiert, auch ein Ende des Duckmäusertums gegenüber den USA gefordert und Deutschlands Rückkehr auf die weltpolitische Bühne begrüßt, man kann sich aber wohl denken mit anderen außenpolitischen Schwerpunkt- und Stilsetzungen als SPD, CDU oder CSU sie wohl vertreten würden. Da das zu wenig Totalopposition ist, bleibt damit nicht aus, dass Wurm anmerkte, dass sich die Große Koalition scheinbar über alle Parteien des Bundestages erstreckt, für die Grünen war wohl wahrscheinlich nur kein passendes jüngeres Zitat zu bekommen.

Und natürlich darf eine ordentliche linke Linken-Schelte nicht ohne Quer-Frontfrau Wagenknecht und ihren Quer-Front(ehe)mann Oskar Lafontaine auskommen, die die Idee einer Open- oder No-Borders-Politik als naiv bezeichnet hatten und nachvollziehbar erläuterten, warum gerade ein Sozialstaat zwingend Grenzen braucht, um ökonomisch zu funktionieren, oder dass Frau Wagenknecht auch nicht einsehen wollte, warum wir Kriminellen das Gastrecht nicht wieder entziehen sollten. Herr Wurm sollte sich vielleicht noch einmal mit den Grundlagen der Ökonomie beschäftigen, der Knappheit der Ressourcen und der Schwierigkeit, sie gerecht zu verteilen. Wer über den Marxismus reden will, sollte von den wirtschaftlichen Grundlagen nicht schweigen.
Aber natürlich ist diese rein ökonomische Rationalisierung, die Wagenknecht und Lafontaine vorgenommen haben, aus Sicht Wurms, nicht weit von der AfD-Linie entfernt, selbst dann nicht, wenn sie auf anderen Grundlagen beruht. Auch das muss man scheinbar wissen.

Zumindest konsequent, wenn auch im studentischen Wahlkampf nur logisch, gab es an der Stelle ein lustiges Schmankerl, nämlich dass Herr Wurm, nachdem er mit seiner Tirade gegen die Linkspartei fertig war, dann auch noch meinte, dass die Leute, die hier „Neues Deutschland“ (faktisch Parteizeitung der Linken) und Aufkleber der Linksjugend Solid auslegen wollten, die wieder einpacken könnten, denn die Linken seien demgemäß auch nur eine weitere Partei des Kapitals und Steigbügelhalter der Rechten. Da offenbar auch einige Vertreter der Linksjugend im Raum waren, kühlte das die Stimmung ordentlich herunter, etwas zu dem wir später aber noch einmal kommen, wenn es um die anschließende Diskussionsrunde geht.

Anhand der vorgestellten Verworfenheiten in den Bundestagsparteien kam Wurm zu einer ersten Conclusio. Die Beispiele sollen einen Rechtsruck der etablierten Parteien belegen. Schon im SPD-Abschnitt seiner Ausführungen (ich habe es jetzt wegen des Zusammenhangs an diese Stelle gerückt) sprach er davon, dass die Äußerungen Gabriels so vor zehn Jahren nicht sagbar gewesen wären oder wenigstens einen medialen Skandal ausgelöst hätten, was zweifelhaft ist angesichts seiner merkwürdigen Interpretation. Tatsächlich waren Äußerungen Horst Köhlers zum Einsatz militärischer Mittel zur Bekämpfung der Piraterie Grund genug für einen Rücktritt, allerdings wurde seine Äußerung aus dem Zusammenhang gerissen und medial aufgebauscht. Ein wenig mehr Beharren hätte ihn wahrscheinlich nicht das Amt gekostet. Nun waren aber auch die Aussagen von Gabriel nicht einmal so ausdrücklich gewählt wie Köhlers direkte Worte im Jahr 2010. Aber selbst wenn wir dabei bleiben, wiederum zehn Jahre davor, wäre es wieder anders behandelt worden, weil sich Maßstäbe nun auch einmal ändern und an neue weltpolitische Gegebenheiten anpassen müssen.
Wenn man aber ein Übergewicht linker Diskurshegemonie, wie Baberowski es anspricht, als Maßstab anlegt, wirkt das natürlich wie ein eklatanter Rechtsrutsch. Wenn man jedoch am linken Rand steht, von dem aus sowieso alles rechts aussieht (siehe Linkspartei), dann fällt es natürlich schwer die linke Diskurshegemonie überhaupt anzuerkennen, weil sie noch nicht derart extrem geworden ist, dass sie (schon) zu den eigenen Gunsten ausfällt. Was aber deutlich wird: Es gibt nur eine Richtung, in die sich das Overton-Fenster legitimerweise weiter verschieben darf. Der Rest ist ein gefährlicher Rechtsruck, der direkt in den Faschismus führen muss.

Das war nämlich die Deutung die Wurm vornahm. Da die AfD nur Fleisch vom Fleische anderer Parteien sei, wären die Denkweisen, die man von Links an der AfD zu kritisieren hat, einschließlich der Perspektive, sie für die Wegbereiterin eines neuen Faschismus zu halten, auch in den anderen Parteien immer schon enthalten gewesen und hätten nur auf eine Gelegenheit gewartet. Die Wahl der AfD würde also von anderen Parteien „genutzt“, um die Pfeiler des Sagbaren nach rechts zu verschieben. Der Vollständigkeit halber muss man erwähnen, dass Wurm dies in der anschließenden Fragestunde etwas abschwächte, indem er hinzufügte, dass die Parteien ebenfalls den Fehlschluss ziehen, sie müssten in Reaktion auf die AfD auch weiter nach rechts rücken, um die Wähler abzuholen. Der Gedanke des Nutzens oder Ausnutzens blieb aber zentral.

Die aufgeworfene Frage nämlich, warum die Entwicklung nach rechts geht, beantwortete Wurm mit Bezug auf Georg Diez (den er relativ frenetisch lobte), einem Kolumnisten des SPIEGEL, der in einigen Beiträgen (zuletzt zu Neujahr) den Kapitalismus einer Kritik unterzogen hat, der zumindest in der Problemfeststellung ich nicht einmal völlig widersprechen würde. Was aufgezeigt werden sollte ist, dass der Kapitalismus, so Wurm, die Ursache einer allgemeinen Krise, zunächst des Sozialen und dann damit der Gesellschaft („Spaltung der Gesellschaft“) sei, die zu einer Krise der Demokratie würde, die Diez selbst mit dem Hinweis auf eine Verbindung von Autoritarismus und Kapitalismus im Trumpschen Amerika und Putins Russland so in „Krise des Systems: Demokratie ist nicht Kapitalismus„, erschienen am 07.01.2017 auf SPON, andeutet. Als erweiternde Belege für die Krise ging Wurm an der Stelle zum Beispiel auf die Phänomene geringfügiger Beschäftigung, mehrerer Jobs und trotzdem grassierender Armut und geschönter Arbeitslosigkeitsstatistiken ein.

Hier stieg er dann selbst ein, um von Diez auf die marxistische Faschismustheorie umzulenken. Diese hat einen eigenen Ansatz gefunden, um ein politisches Phänomen wie den Faschismus in das materialistische Weltbild einzuordnen und begreift den Faschismus als eine Art finale Form des Kapitalismus. Neben der moralischen Kritik war Marx‘ ökonomische Hauptkritik am Kapitalismus ein Konstruktionsfehler, der auch zum zwangsläufigen Scheitern des Systems führen würde, dass sich das Kapital zunehmend in immer weniger Händen akkumulieren würde und die damit einhergehende Verelendung der Massen schließlich die Revolution auslöst. Das kapitalistische System würde aber solange versuchen wie möglich an der Macht zu bleiben (weil die Besitzenden natürlich ihre Besitzstände wahren wollen) und wäre demnach gezwungen, zu immer autoritäreren und schließlich brutaleren Methoden zu greifen, um die Massen bei der Stange zu halten. Der Faschismus ist in dieser Theorie damit dem Kapitalismus inhärent, da er irgendwann nötig wird, um die revolutionäre Bedrohung des Systems im Zaum zu halten.
Allerdings ging Marx dabei von einem ungehemmten Lauf der kapitalistischen Verfahrensweise aus, die vorsah, dass die bürgerlich-staatliche Autorität einzig die Besitzenden schützen, statt die Interessen der Massen jemals in die Betrachtung ziehen würde. Eine stetige Umverteilung, wie sie das reformistische Agieren der Sozialdemokratie bspw. erreichte oder im Fall der Sozialgesetzgebung von den Eliten (hier Bismarck) erzwang, war da noch gar nicht vorgesehen. Die wiederum führte zu einer Streuung des Kapitals und verhinderte den von Marx prognostizierten Infarkt. Richtig ist, dass die Akkumulation wieder zunimmt, aber angesichts dessen wirbt Herr Diez in dem von mir angeführten Beitrag auch für eine Reformierung, nicht eine Überwindung des Kapitalismus.

Der Rechtsruck, den wir in unserer Gesellschaft also beobachten, verstehen Wurm und seine Partei als einen Ausdruck der kapitalistischen Systemkrise, womit sie natürlich völlig die gesellschaftlichen, nicht wirtschaftlichen Probleme außer Acht lassen, die z.B. der AfD mehr noch die Wähler zutreiben, als deren doch eher verhaltene Anprangerung sozialpolitischer Missstände. Auch wenn sie latent vorhanden ist, macht die AfD mit den Kosten der Zuwanderung, weniger mit dem Schreckbild von Arbeitsplätzen, die in Massen weggenommen werden, Politik. Eher noch geht die Kritik an einwanderungsbedingter Lohndrückung in eine solche Richtung. Die sozialen Kosten des gesellschaftlichen Zusammenlebens in einer Einwanderunsgesellschaft sind das eigentliche Pfund, mit dem die AfD wuchert. Aber diese Dinge finden, wie eingangs erwähnt, in dieser Betrachtung auch nur als Seitensymptome des kapitalistischen Systems wenn überhaupt Beachtung. Eine rein materialistische Reduktion, wenn man so will.

Weil die anderen Parteien, weil sie das System entweder direkt unterstützen oder zumindest nicht mehr überwinden wollen (wie er es der Linkspartei unterstellt), sind sie selbst als politische Träger des kapitalistischen Systems anzusehen und natürlich Teil des Rechtsrucks. Gleichzeitig sei in den Parteien das Bewusstsein für die Systemfehler des Kapitalismus und dessen notwendige Überwindung verloren gegangen, er verweist dabei auf das Ahlener Programm der CDU, das in dieser Hinsicht sehr kapitalismuskritisch war. Weil diese Parteien jetzt einsehen müssten, dass eine progressive Politik innerhalb eines krisenhaften Kapitalismus nicht mehr möglich sei, aber gleichzeitig blind geworden seien für die antikapitalistische Alternative, würden sie Deutschland mit der AfD als genutztem Zugpferd voran, auf einen autoritären Kurs führen, der schließlich faschistische oder proto-faschistische Züge annehmen könne – die Kronzeugen hatte Wurm eingangs bereits berufen – um das System trotz der Krise aufrecht erhalten zu können. Das schließe Rassismus, Großmachts- und Kolonialpolitik ebenso ein wie neue Kriege, Überwachung und die Aushöhlung von Grundrechten bis hin zur Abschaffung der Demokratie.

An dieser Stelle beendete er den ersten großen Teil seiner Ausführungen, um dann auf die Lehren aus den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts zu sprechen zu kommen. Hierbei wird sich Wurm auch häufiger auf die Hitler-Biographie Ian Kershaws beziehen.

Historische Bedingungen der Machtergreifung

Den Anfang bildete eine Darstellung der historischen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Situation der 30er Jahre unter denen die Nazis an die Macht gekommen waren. Relativ anschaulich wurde von ihm das von der Wirtschaftskrise (hier auch als Großkrise des Kapitalismus ausgedeutet) verursachte (und ich will anmerken politisch verschlimmerte) soziale Elend der Weimarer Republik dargestellt und mit einem Rückbezug auf die wirtschaftliche Situation Jetzt-Deutschlands garniert („Armut trotz Arbeit“).
Es wird hier schon deutlich, dass die Lehren aus den 30ern bedeuten sollen, eine historische Kongruenz zwischen der damaligen und jetzigen Situation herzustellen, um daraus dann Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die wirtschaftlich-soziale Situation heute, wäre gemäß Wurm mit der damaligen vergleichbar.

Der nächste Punkt war entsprechend der schon geleisteten Ausführungen eine Bezugnahme auf Leo Trotzki, der den Faschismus als eine notwendige Form des Kapitalismus erklärte und zwar in der Krise. Diktatur und verschärfte Herrschaft (Gewalt, Unterdrückung bis hin zur Ermordung) wären, so die Theorie, die einzigen Mittel um eine prekäre Gesellschaft noch zu kontrollieren und da der Kapitalismus unweigerlich auf prekäre Zustände hinauslaufe, würde er irgendwann ein faschistisches System einführen.

Hier müsste man allerdings einhaken, dass jede Wirtschaftskrise in jedem politischen System, dazu noch verbunden mit den falschen politischen Weichenstellungen immer auch soziale Unruhen und ggf. auch Revolutionen nach sich ziehen kann, insbesondere wenn die Grundbedürfnisse wie Ernährung und Wohnung davon betroffen sind. Das feudal-merkantile (vorkapitalistische) System Frankreichs wurde nicht wegen einer kapitalistischen Systemkrise sondern wegen  einer veritablen Hungerkrise, ausgelöst durch Missernten, hinweggefegt. Auch zeichnete sich die Weltwirtschaftskrise der Weimarer Zeit nicht durch einen Kapital-Infarkt, wie ihn Marx als kapitalistisches Endstadium prognostizierte, aus. Häufig wird von kommunistischer Seite eine ökonomische Krise (und an der Ökonomie hängt immer das Soziale) direkt mit einer Krise des ganzen Wirtschaftssystems oder -verständnisses verwechselt. Für die eigene wirtschaftstheoretische Historie legt man jedoch nicht die gleichen Maßstäbe an. Die Zwangskollektivierung in der Sowjetunion oder Maos Großer Sprung zum Beispiel, die nicht nur in ihren wirtschaftlichen Folgen (Produktionseinbrüchen und Hungersnöten) verheerend waren, sondern die gleichen autoritären, repressiven und mörderischen (GULag) Maßnahmen der Herrschaftssicherung gegenüber der prekären aufgebrachten Bevölkerung hervorbrachten, wie die, die Wurm als faschistisch kritisiert, werden nicht als Scheitern des Kommunismus interpretiert. Hier fällt die Schuld dann Mao oder Stalin zu, die nur nicht den richtigen Kommunismus verwirklicht hätten. Also können wir ruhig noch einen Anlauf starten, diesmal unter trotzkistischen Vorzeichen, wenn es nach der IYSSE ginge.

Aber erstmal weiter mit dem Faschismus. Die Tendenzen dazu wären auch in der Weimarer Republik bereits erkennbar gewesen, die zu einer autoritären Herrschaft neigte, in Form von Hindenburg, der wiederum mit einer halb-diktatorischen Notverordnungspolitik in den letzten Jahren vor Hitler regieren ließ. Als Beispiel führte Wurm hier den sogenannten Preußenschlag an.

Die Vorbedingung in der bereits erhitzen politischen Situation (politische Morde, Straßenkämpfe, Radikalisierung) stellte die Aufhebung des Verbots der politischen Kampfverbände der NSDAP, SS und SA, dar, die die Kämpfe mit den Verbänden anderer Parteien wie dem Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold (SPD-nah) und den Anhängern der kommunistischen KPD wieder aufnahmen. Ein solcher Zusammenstoß war der Altonaer Blutsonntag, bei dem eine unter Polizeischutz stehende Parade der SA in einem Viertel der Arbeiterparteien in Altona zu einer Auseinandersetzung führte, die schließlich in Schießereien gipfelte.

Diese Ausschreitung schob die rechtskonservative Reichsregierung unter Franz von Papen dann als formalen Grund vor im Preußenschlag die von der SPD geführte Regierung des Freistaates Preußen (seinerzeit das größte Teilglied des Deutschen Reiches) abzusetzen und durch einen Reichskommissar im Auftrag der Reichsregierung zu ersetzen. Damit fand laut Wurm die endgültige Machtkonzentration bei den Konservativen statt. Der von ihm zitierte Kershaw bezeichnete den Preußenschlag als „Vorbild für die Machtübernahme“ Hitlers.

Der nächste Punkt von Wurms historischer Herleitung waren die Wahlergebnisse der Reichtagswahlen 1932. Die wichtigsten Punkte, auf die er aufbaute, waren, dass Hitler nicht durch demokratische Mittel an die Macht gelangte, da er es niemals zu einer absoluten Mehrheit brachte und das die Wahlergebnisse der NSDAP bereits nach dem Ende des sogenannten Kabinetts der Barone sanken. Auch waren die Arbeiterparteien SPD und KPD zusammen nach den Wahlergebnissen auch stärker als die NSDAP. Die Kanzlerschaft und spätere Machtübernahme Hitlers geschahen also nicht in der stärksten Stunde der Nazis, sondern schon als sie langsam auf den absteigenden Ast kamen. Wurms Schlussfolgerung: Hitler musste sich stets auf andere Kräfte stützen, um an die Macht zu gelangen.

Diese Rolle fällt hier den Rechtskonservativen zu, diese mussten bereits dort, wo die Nazis an der Regierung beteiligt wurden, nämlich in Thüringen, erkennen, mit welchen Leuten, sie es zu tun hatten. Sie bestellten sie aber dennoch oder aus Wurms Sicht gerade deswegen. Sie stellten entgegen ihres Namens nämlich keine Gefahr für das kapitalistisch-bürgerliche System dar. Hitler hatte bei einem Treffen mit Industriellen bereits versichert, dass er die sozial-revolutionären Kräfte seiner eigenen Partei unter Kontrolle habe, mithin die sozialistische Rhetorik seiner Partei mehr Schein als Sein sei. Die NSDAP sei deshalb als Partei des Kapitals anzusehen.
Das Bündnis zwischen bürgerlichen und konservativen Kräften und den Nazis wurde am Tag von Potsdam  inszenatorisch besiegelt. Wurm blendete hierfür den symbolträchtigen Händedruck zwischen Hitler und Hindenburg ein. Er stellt den Vorgang jedoch so dar, als hätte sich hier eine gegenseitige Anbahnung von Faschismus und dem alten preußischen Militarismus, der Tradition und Bourgeoisie ergeben.
Unterschlagen wurde, dass die gesamte Veranstaltung von Joseph Goebbels im Stile alter Kaiserempfänge inszeniert wurde, gerade um die Nazis unter den bürgerlichen, traditional-konservativen und auch monarchischen Kräften erst salonfähig zu machen. Diese Kreise mochten zwar autoritär eingestellt sein, sahen in Hitler und seiner Partei aber nach wie vor proletarische Emporkömmlinge, denen sie nicht trauen oder etwas zutrauen konnten. Statt einer gemeinsamen Feier der Machtübernahme war es also eher eine notwendige Imagepflege der NSDAP auf konservativer Seite. Man könnte sagen, dass Wurm hier sogar der intendierten Inszenierungsabsicht der Nazis aufsaß.

Den Abschluss der wurmschen Herleitung bildete dann auch das Ermächtigungsgesetz. Bereits im Zuge des Reichstagsbrandes und der Kanzlerschaft Hitlers wurden die Nazis nicht nur in der Regierung, sondern generell physisch in den Staatsapparat integriert. So assistieren Hilfspolizisten der SA in Uniform der Schutzpolizei und es wurden staatlicherseits erste (wilde) KZs aufgebaut. Das Ermächtigungsgesetz bildete dann als dessen rechtliche Stütze den letzten Schritt der Transformation ab. Hier stimmten nicht allein die Nazis sondern auch ihre (rechts)konservativen und bürgerlichen Verbündeten dem Gesetz zu und machten damit den Weg zur Machtübernahme frei. Wurm weist du daraufhin, dass auch der spätere Bundespräsident Theodor Heuss (später FDP) dem Gesetz zustimmte.

Zusammengefasst sagte Wurm, dass Hitlers und die NSDAP eine Klientel-Partei des kapitalistischen Systems gewesen sei, ihre Macht und Vollmachten sowie ihre Machtergreifung maßgeblich von den bürgerlichen Parteien vorangetrieben wurde, die zuvor bereits den Weg in eine autoritäre Herrschaft geebnet hatten. Dies sei geschehen, weil die Nazis als faschistische Kraft gebraucht wurden, da das kapitalistische System mit normalen Mitteln angesichts der ökonomischen Krise nicht mehr regierbar war.
Wurm ließ allerdings offen, ob es sich hierbei aus seiner Sicht um einen zumindest offenen Plan der Konservativen oder um eine politische Eigendynamik gehandelt habe.

Neben dem Erkennen des Problems, einerseits dem Zusammenhang zwischen Kapitalismus und Faschismus und andererseits des Erstarkens des Faschistischen in der sozio-ökonomischen Krise, kommt Wurm noch auf den Widerstand zu sprechen. Die Führung der KPD und der SPD hatten sich seinerzeit als unfähig darin erwiesen, die Nazis zu bekämpfen. Hier wandte der schon zuvor erwähnte Vertreter der Linksjugend einigermaßen lautstark ein, dass das schwer möglich war, weil die Führung der KPD bereits im Gefängnis saß, Wurm bezog sich fairerweise allerdings schon auf den Zeitraum vor der direkten Machtergreifung, in dem es SPD und KPD nicht gelungen war eine einheitliche Front gegen die Konservativen und letztlich die Nazis zu bilden. Er merkt dazu an, dass obwohl die Arbeiterparteien zusammen stärker als die Nazis waren, diese an die Macht gelangen und das System umbauen konnten, ohne das auch nur ein Schuss gefallen wäre.

Hauptverantwortlich war für ihn vor allem die SPD. Diese ließ in den frühen Jahren der Weimarer Republik die KPD erst zusammenschießen, unterstützte dann die Wahl von Hindenburg, nur um dann von ihm und seinen Gewährsmännern faktisch weggeputscht zu werden. Statt also, wie es ihr für eine Arbeiterpartei angestanden hätte, im Schulterschluss mit der KPD zur Not die proletarische Revolution anzustreben und damit die Nazis abzuwehren, hatte sie lieber im Zweifel den Schulterschluss mit den bürgerlichen Kräften und damit dem Kapitalismus gesucht. Da der Kapitalismus den Faschismus schon in sich trägt, müsse man die SPD, die den Kapitalismus so unterstützte, und den Faschismus als Zwillingsbrüder begreifen. Dies hätte vor allem den historischen Bruch zwischen der SPD und der KPD ausgelöst.
Zum Thema des Gegensatzes zwischen revolutionärem Umsturz (KPD) und evolutionärer Reform (SPD) verliert Wurm an der Stelle freilich kein Wort. Tatsächlich hatte die SPD mit einer sozialen Reformpolitik bis zu diesem Punkt mehr Erfolge darin nach den Maßstäben der Zeit die Bedingungen der Arbeiter zu verbessern, als revolutionäre Träumer, die alles sofort haben wollten. Auch erschöpfte sich der Konflikt darin nicht, sondern die SPD stand im Gegensatz zur KPD auf Seiten der Republik, während die KPD auch ihr Ihriges dazu beitrug, die Demokratie der Republik zu bekämpfen und zusammen mit den Nazis das instabile politische Klima zu schaffen, in dem Menschen sich immer nach Ordnung und Führung sehnen werden.

Aber wenigstens entließ Wurm auch die KPD nicht ungeschoren aus seinen Ausführungen, zitierte hierzu Thälmann mit: „Nach den Nazis kommen wir“ um aufzuzeigen, wie realitätsfern und sachblind, sich die KPD-Führung verhielt. Da muss man anmerken, wenn man die Wirtschaftskrise als finales Stadium des Kapitalismus begreift, dann stand laut der Denkschriften der marxistischen Theorie, von der man überzeugt war, die Revolution kurz bevor und sie könne von keiner Kraft mehr aufgehalten werden. Insofern dachte Thälmann innerhalb des kommunistischen Denkkomplexes nur folgerichtig. Was aber auch von Trotzki, hier vermittelt durch Wurm, in „Was nun?“ auch kritisiert wurde, dass nämlich die KPD und die sowjet-russisch dominierte Kommunistische Internationale (KomIntern) unfähig gewesen wären, eine Debatte über die Ursachen zu führen. Er schlug deshalb die Gründung einer 4. Internationalen vor.

Nun will Wurm sicher Lehren ziehen und da muss man auch historische Fehler offenlegen, allerdings erinnert das Ganze dann doch sehr an »Die Nachgeborenen wissen es immer besser« allein weil sie das Ergebnis kennen. Dem Ganzen liegt freilich auch eine Denkungsart zu Grunde, die die Handlungsalternativen als in jedem Fall besser bewertet. Man könnte versucht sein zu setzen, dass alles besser als die Nazis gewesen wäre und blendet dabei die Möglichkeit aus, dass es genauso schlimm hätte auch auf der anderen Seite enden können. Im Zuge einer proletarischen Revolution, wenn also die Schüsse gefallen wären, die sich Wurm so sehr gewünscht hätte, wäre die Folge zwangsläufig ein massiver Bürgerkrieg gewesen. Zunächst wohl noch zwischen Arbeiterparteien und Nazis aber die republikfeindliche KPD hätte dann freilich der SPD, die dann als einzige republiktreue Kraft verblieben wäre, ebenfalls den Kampf angesagt, wenn man in der Lage gewesen wäre, die Nazi-Bedrohung zu überwinden. Sozialistischer Bruderkrieg sozusagen. Neben den Verheerungen die allein der Bürgerkrieg angerichtet hätte, wäre nicht gesagt gewesen, dass die SPD sich hätte durchsetzen können. Ich denke das wäre für Wurm auch nicht das erwünschte Ziel gewesen. Eine in der KomIntern organisierte siegreiche KPD hätte aber gewiss als Satrapen-Partei unter der Fuchtel Moskaus und damit Stalins gestanden. Die Bandbreite hätte von der gewöhnlichen kommunistischen Umerziehung und Zwangsherrschaft bis hin zu Stalinismus in Mitteleuropa reichen können. Selbst ein (Welt)Krieg wäre damit noch längst nicht vom Tisch gewesen, angesichts eines von kommunistischen Staaten eingekreisten Polens und einem Westeuropa als zu schleifender kapitalistischer Bastion. Man hätte sich also im schlimmsten Fall das KZ mit dem GULag erspart. Nun ist der Nationalsozialismus etwas, das wir in seinen Folgen genau kennen und die Alternative einer proletarischen Revolution zumindest in Deutschland nur Spekulation, aber wenn wir schon über alternative Geschichtsverläufe spekulieren, sollte man die Historie der kommunistischen Terrorherrschaft, insbesondere unter Stalin, dann nicht ausklammern und auch klar über den Preis sprechen, um den man die NS-Herrschaft auf kommunistische Weise hätte vermeiden können. Mir erscheint beides nicht sonderlich erstrebenswert. Warum nicht vor allem die KPD ins Gebet dafür nehmen, dass sie die Demokratie in Weimar bekämpft hat, statt die SPD zu unterstützen? Ach ich vergaß, der Kapitalismus, und es gibt ja kein richtiges Leben im Falschen.

 

Die Lehren aus den 30ern? Trotzkistische Weltrevolution!

An dieser Stelle schloss Wurm dann seine historischen Ausführungen. Und kam zum abschließenden Part: Nämlich die Lehren, die für die Gegenwart zu ziehen wären. Dass er die Situation von heute mit der von damals für vergleichbar hält, war ja schon im ersten Teil seiner Ausführungen etabliert worden. Er rekurierte für die Zuhörer noch einmal gesammelt auf die Zunahme autoritärer und konservativer Tendenzen und der Aushöhlung von Grundrechten im Zuge einer Stärkung der Überwachung. Als Beispiel brachte er allerdings die Foto-Fahndung im Zuge der Ermittlungen zu den G20-Krawallen ins Spiel.

Das ist nun verdammt dünnes Eis angesichts der Ausschreitungen und Vermummungen insbesondere für eine anti-kapitalistische Partei, die die Kleinwagen von Altenpflegern abfackelt, Discounter plündert und danach die Stadt in einem Zustand hinterlässt, bei dem die Anwohner dann den Rest des Wochenendes dazu nutzen müssen, um den Saustall wieder aufzuräumen. Schäden sozialisieren? War das nicht bisher immer angeblich das Prinzip von Banken? Und wir sprechen über die gleiche Fahndung, wo vor kurzem wegen undichter Stellen eine bundesweite Razzia vorher durchgestochen worden ist und auf Social Media dann passend »Tipps« in linken Kreisen herumgingen, noch rechtzeitig Beweismaterial verschwinden zu lassen. Sehr dünnes Eis.

Wurm stellte aber weiter fest, dass keine Partei mehr revolutionäres Potenzial besitzt und dass das, was sich heutzutage noch links nennt, eigentlich keine linken Parteien mehr seien (einschließlich der Linkspartei). Diese Pseudo-Linken seien heute Teil des Systems und stellten den Kapitalismus nicht mehr fundamental proletarisch-revolutionär in Frage. Hier will ich ein weiteres Mal auf den Unterschied von evolutionärer Reform und revolutionärem Umsturz verweisen. Aber es wird noch ärger. Denn Wurm hatte suggeriert, dass die heutige Linke maßgeblich für den Aufstieg der AfD mitverantwortlich sei. Als Beispiele führte er an, dass überall dort wo SPD und oder Linke regierten, derzeit die AfD mit großen Gewinnen aus den Wahlen hervorgehe oder das im Fall der griechischen Schwesterpartei der Linken, Tsipras‘ Syriza, sogar offen mit Rechtspopulisten (hier ANEL) von links aus koaliert wird.
Auch hier ist darauf hinzuweisen, dass dies vor allem deshalb gemacht wird, weil sich beide Parteien gegen das Eurosystem und die europäische Finanzlenkung gestellt haben, die Griechenlands Souveränität bezüglich einer eigenen Ausgabepolitik beschneidet. Tsipras kann wegen der Sparauflagen und wegen des Euros nicht so sozial regieren und Ausgaben leisten, wie er es gerne würde und sieht das europäische Finanzsystem für diesen Teil seiner Souveränität ebenso als eine Hürde wie nationalistische Rechte. Dieses Beispiel ist weder mit den Ausführungen zum Kapitalismus noch zum Faschismus kongruent, die Wurm bereits geleistet hat.
Weil es für die linken Parteien gar nicht mehr möglich oder denkbar wäre eine „progressive“ (gemeint ist eine proletarisch-revolutionäre) Politik zu machen, würden sie wie in den 1930ern darin versagen, Antworten gegen Rechts zu finden. Stattdessen würde „Rechts“ damit als einzige Alternative dargestellt. Das bedeutet für Wurm, dass die heutige etablierte Linke genauso bekämpft werden muss wie die Rechten.

Abschließend empfahl er diesbezüglich seine Partei IYSSE, die bereits den »rechten« Professoren entgegen getreten sei,  und die Bewegung deren Teil sie sind, nämlich die einer 4. (Trotzkistischen) Internationalen, da es sonst niemand anderen gäbe, der den Job machen könne. Eine wirkliche Linke müsse von ihnen erst aufgebaut werden. Der Kapitalismus soll zerstört werden. Daran wollen sie sich beteiligen und auch aufzeigen, wie die Universitäten in rechte Politik eingebunden seien.

 

Anschließende Diskussionsrunde

Nachdem er seinen Vortrag mit der Forderung nach der Überwindung des Kapitalismus und der Aufforderung zur wahl seiner Partei bei den kommenden Studierendenparlamentswahlen beschlossen hatte, gab es die Möglichkeit Fragen zu stellen, Anmerkungen vorzubringen und theoretisch zu diskutieren. Nach hinten heraus wurde dafür allerdings die Zeit etwas knapp.

Es gab noch einige Erläuterungen zur Frage der kapitalistischen Problemerkennung, da ging es vor allem um den Internationalismus und eine Kritik an den, aus Sicht Wurms, zu national denkenden Gewerkschaften, den ich an dieser Stelle wegen des Umfangs der vorherigen Ausführungen mal ausklammern will. Auch Fragen danach, inwiefern er selbst die Gefahr einer faschistischen Gesellschaftsübernahme sieht, will ich mal beiseite lassen. Da hatte doch tatsächlich noch jemand gefragt, obwohl eigentlich klar geworden sein dürfte, dass er die Situationen ähnlich und vermutlich ähnlich gefährlich einschätzen würde, wie in den 30ern. Proletarische Revolution besser früher als später lassen daran ja auch keinen Zweifel.

Bevor ich gleich zu den Diskussionsgegenständen komme, die ich interessant fand, will ich positiv hervorheben, dass sich die IYSSE zumindest gegen das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) einsetzt, was sie einigen linken Parteien des Bundestages tatsächlich voraus hat.

Die Causa Baberowski

Baberowski war ja schon Thema des Vortrages gewesen und eine Zuhörerin, die wohl mit seinen »Gedankenverbrechen« nocht nicht so vertraut war, erkundigte sich, warum die IYSSE gegen ihn vorgehen musste. Ein exemplarischer Stein der Anstoßes war eine Aussage Baberowski in einem Gespräch mit dem SPIEGEL anlässlich des Historikerstreits eine These von Ernst Nolte über die psychologischen Grundlagen der stalinistischen und nationalsozialistischen Vernichtungsweisen. Nun ist er als Experte für Osteuropa zumindest in einer historischen Form qualifiziert darüber zu sprechen und Gemeinsameiten als auch Unterschieden in einer Debatte zu benennen und zu verteidigen. Ich hab die Diskussion seinerzeit im SPIEGEL, erschienen unter dem Titel „Der Wandel der Vergangenheit“ in SPIEGEL 7/2014,  gelesen und fand die Argumentation vorsichtig ausgedrückt interessant. Im Gegensatz zu Stalin sei Hitler nicht grausam gewesen. Eine Aussage die sich rein auf den Vergleich der psychologischen Ausstattung zweier Diktatoren und nicht auf das ungeheure Ausmaß der Opfer bezieht. Das ist eine streitbare These, die diskussionsbedürftig aber diskussionsfähig wäre, wenn Baberowski sie begründen kann. Wurm arbeitete hier aber mit dem Ruch des Skandals.

Als scheinbare Bestätigung seiner Ansichten führte er gegenüber der Fragenstellerin auch an, dass Baberowski gegen die in diesem Zusammenhang ihm gegenüber erhobenen Zuschreibungen „rechtsextrem“ und „Geschichtsfälscher“ geklagt und verloren hatte. Was Wurm hier so hinstellte, als habe das Gericht damit die Richtigkeit der Vorwürfe bestätigt, aber das ist absurd. Die Urteile zielten darauf ab, festzustellen, dass es von der Meinungsfreiheit gedeckt sei den unbequemen Akademiker ungestraft so bezeichnen zu dürfen. Im Endeffekt also hatte das Gericht den Kritikern Baberowskis etwas zugestanden, nämlich begründet eine streitbare Meinung zu äußern, was diese ihm nicht durchgehen lassen wollten.

Drum nimmt es auch nicht Wunder, dass Wurm die Verteidigung Baberowskis aus den Kreisen der Bundestagsparteien als Bestätigung für seine kruden Thesen vom allgemein geteilten rechten Gedankengut in allen Parteien heranzog, obwohl auch hier die Verteidigung der Freiheit von Meinungen und der Freiheit eines akademischen Diskurses gegenüber mundtotmachenden Kritikern vermutlich im Vordergrund stand. Kürzlich haben wir in der Causa Rauscher an der Universität Leipzig ähnliche Szenen erlebt, bei denen die Uni-Leitung allerdings ihren Professor hatte fallen lassen wie eine heiße Kartoffel.

Munteres Lupfen der Schottenröcke

Aber das Thema Kritik. Ich hatte ja versprochen, dass wir noch einmal auf den erregten Vertreter der Linksjugend zurückkommen werden. Der kam natürlich in der Fragerunde auch endlich zu Wort, nachdem der Vortrag bereits mit einigen Zwischenrufen seinerseits auskommen musste. Ich will dazu sagen, dass der Kerl leider weder argumentieren noch diskutieren konnte. Ständiges Unterbrechen, Drüberquatschen und Reinrufen, führen leider zu keinem sinnvollen Gespräch, insbesondere dann nicht, wenn die ständig wiederholte Aussage in etwa in die Richtung geht: Wenn ihr hier die ganze Zeit lügt, kann euch nicht einfach reden lassen. Außerdem hatte der junge Mann eine gewisse Obsession mit der katholischen Kirche. Also seine Wortbeiträge konnte man unter ferner liefen eigentlich ignorieren (und man stelle sich vor es wäre jemand von der Linksjugend dagewesen, der ebenso angriffslustig gewesen wäre aber intellektuell etwas auf dem Kasten gehabt hätte!) aber sie wirkten geradezu wie ein Katalysator um das unterhaltsame interne Linken-Bashing noch etwas mehr auszureizen, als es der Vortrag an sich bereits getan hatte.

Im Endeffekt führte das Ganze zu etwas, das man als großes Lupfen der Schottenröcke bezeichnen könnte. Denn ein wahrer Schotte ist ja bekanntlich nur, wer nichts unterm Kilt trägt. Und um wahre Schotten ging es auch hier. Die Feststellung wer denn nun die wahren Linken seien beschäftigte Wurm ja schon in seinem Vortrag und führte diesen Streit hier mit dem Anhänger der Linksjugend noch weiter.

Das manch ein Linker heutzutage schon soweit ist, zu sagen, dass die SED keine linke Partei gewesen sei, erscheint wie ein realitätsverlustiges Kuriosum, nimmt hier aber schon Züge einer veritablen Verdrängungsstrategie an. Es war längst nicht mehr Wurm alleine der antwortete. Es waren Mitstreiter seiner Partei anwesend und die bereits erwähnten älteren Gäste, Bürger der ehemaligen DDR, wie ich dann bald erfuhr und Unterstützer von Wurms Haufen. Eine Dame sprach, denn inzwischen stand das Bonmot im Raum, dass die SED den Kapitalismus im Osten wieder eingeführt habe. Eine kritische Nachfrage später, mochte sie dies erklären. Sie spricht von der „SED-Bürokratie“, wie von etwas Fremdartigen, einem Apparat, nicht auch einer ideologisch motivierten Partei, nicht vom Kommunismus. Ja diese „SED-Bürokratie“ habe die Arbeiterklasse in der DDR gegängelt und unterdrückt und das sei ja unkommunistisch. In etwa so wie die heutigen linken Parteien eben auch nicht mehr links seien.
Keine wahren Schotten und das überall. Den psychologischen Grund dafür schiebt sie uns aber gleich nach, um zu verstehen, wie sie den realexistierenden Sozialismus, denn als so unsozialistisch empfinden konnte. Als Trotzkistin gehörte sie nämlich einer Strömung der herrschenden Ideologie an, die nicht mehrheitsfähig war und war daher Repressionen ausgesetzt. Aber man selbst ist natürlich der wahre Schotte, in etwa wie christliche Sektierer über die Jahrhunderte auch immer wieder behaupteten, sie allein hätten die Offenbarung doch noch etwas besser verstanden, als die Mehrheitskirche. Und man mag es trotz des wohlfeilen Wunsches von Rosa Luxemburg „Die Freiheit der Andersdenkenden“ zu wahren, wohl als gesetzt ansehen, dass je größer das utopische Potenzial, um so weniger Abweichung vom ausgemittelten Pfad dorthin, kann toleriert werden, denn diese Abweichung könnte das Erreichen der Utopie an sich gefährden. Ich stelle mir gerade eine alternative Dimension unserer Realität vor, in der Stalinisten über die Unterdrückung durch trotzkistische Linke jammern und denen das Linkssein absprechen. Nicht dass diese Unterdrückungserfahrungen auch schreckliche Gestalt annehmen konnten. Wer sich einen Eindruck von den Behandlungen verschaffen will, die das SED-Regime Dissidenten angedeihen ließ, mag einmal eine Führung im Stasi-Gefängnis in Berlin Hohenschönhausen mitmachen. Es erscheint aber dennoch nicht wenig ironisch, wenn eine Frau über ein System sagt, dass auf einer ähnlichen Ideologie basierte wie die, die sie immer noch anstrebt, dass es diese Ideologie eigentlich gar nicht gehabt hat.

Aber kommen wir zur Wiedereinführung des Kapitalismus zurück. Hier spielt auch unser Freund von der Linksjugend eine wichtige Rolle, da er hier mal etwas von Substanz anmerkte, auch wenn er das freilich nicht rüberbringen konnte, weil er nur besserwisserisch dreinbrüllte. Begründet wurde dies nämlich darin, dass die SED nach der friedlichen Revolution den Weg freigemacht habe für die Privatisierung von Betrieben und die Treuhand. Hier merkte der Solid-Bursche an, dass die geplante SED-Treuhand freilich anders mit den Betrieben umgegangen wäre (ist freilich Spekulation aber ich glaube auch nicht das wir so eine ad hoc Privatisierung erlebt hätten) und das Problem war, dass bei den folgenden Wahlen die CDU eine Mehrheit erhielt und die ursprünglichen Pläne damit Makulatur waren. Stattdessen schnelle Wiedervereinigung mit ad hoc Privatisierung. Auch wenn die gute Dame dies versuchte mit Aussagen von Modrow aus dessen Memoiren (der vor allem Ruhe und Ordnung bewahren wollte) abzuschmettern, zeichnete sich hier doch eher ein Grundatzkonflikt in der Frage ab, ob die Privatisierung, egal wie sie stattfand, schon der Kern des Problems war. Der SED aber zuzuschreiben den Kapitalismus wieder eingeführt zu haben, erscheint doch sehr dünn.
Aber auch das könnte nur ein Durchbruch der Frustration darüber sein, innerhalb der sozialistischen Nomenklatura nur am Katzentisch gesessen zu haben. So hatten die Trotzkisten, also sie selbst, seinerzeit die Arbeiter aufgefordert die verstaatlichten Betrieben zu verteidigen und Räte gegen die Bürokratie zu bilden, um dann angepisst zu sein, weil die Bürokratie handelte, wie sie zu handeln gedachte oder weil die Arbeiter offenbar auch nichts von ihren Ideen hielten? Mal davon ab, dass die Treuhand tatsächlich einen beschissenen Job gemacht hat.

Gehört ihr nicht zu unserem Verein, schlagen wir euch die Köpfe ein

Der in diesem Zusammenhang beste Beitrag des Abends kam dann aber ganz unfreiwillig im Zuge dieses Streits auf. Eine, ich nehme mal an durchaus idealistisch bewegte junge Dame, schaltete sich in den Konflikt ein und bat darum, dass man sich doch nicht streiten solle. Schließlich müsste man doch zusammenhalten gegen die Verrechtung der Gesellschaft und verhindern, dass immer mehr Dinge wieder sag- und denkbar werden. Ideologische Differenzen seien doch unwichtig. An der Stelle sei mir der Einschub gestattet, dass ich den ganzen Abend auf dieser selbstgerechten Ebene wirklich unerträglich fand, dass das Overton-Window in keinster Weise auch nur ein bisschen nach Rechts zurück in die Mitte hätte verschoben werden dürfen. Eine legitime Verschiebung wäre nur, wenn es denn zugunsten der Linken ginge. Aber hier hatte offenbar jemand die Lehren aus 1930ern verstanden.

Nachdem dann aber noch ein wenig herumdiskutiert wurde, schaltete sich nicht nur Herr Wurm selbst wieder ein, der noch einmal erklärte, welcher antisozialistischen Ausrichtung, sich bspw. die Linke inzwischen schuldig gemacht hatte und ganz im Gegensatz zum zuvor stattgefundenen Gemoser über die Unfähigkeit der SPD und KPD gegen Hitler einen Kompromiss zu finden, wirkte dann auch, dass sich eine der IYSSE-Personen zu Wort meldete, die vorne bereits einen Tisch für die eigene Hausliteratur mit Klingelbeutel aufgebaut hatte.

Natürlich seien ideologische Details sehr bedeutsam und es gehöre schließlich dazu, sich im linken Spektrum zu streiten und zu diskutieren und für den richtigen Weg zu kämpfen (und sich wegen allgemeiner Kompromissunfähigkeit in immer kleinere sektiererische Plattformen aufzulösen). Da kann man freilich heilfroh drum sein, weil es die Gefahr eines Umsturzes mit all seinen vermutlich blutigen Folgen effektiv behindert, aber es wird auch deutlich, dass Linke mit abweichender Meinung auch bei den Trotzkisten nur solange erwünscht sind, wie sie eine brauchbare revolutionäre Schwungmasse abgeben. Man kann nur erahnen wie man den richtigen Weg mit Meinungsdissidenten und »Saboteuren« aushandelt, sobald der Kapitalismus überwunden ist, sich die Utopie aber noch nicht von selbst eingestellt hat. Wie wir bereits erfahren haben, kann man die linke Einheitsfront aber auch semantisch ganz leicht erschaffen, in dem man nach wahren und falschen Linken unterscheidet und letztere dann einfach ausgrenzt. So wird der scheinbare Widerspruch zu den eigens gezogenen Lehren dann eben auf theoretischer Basis aufgehoben.

Einen zentralen Fehler begeht hierbei die IYSSE eben bei der Feinderkennung. Die Linkspartei wird zu einem Problem und den Rechten irgendwie verwandt, weil sich im Gegensatz zu den 20ern und 30ern des vorigen Jahrhunderts ein Konsens etabliert hat, den Weimar leider entbehrte, nämlich den Konsens der demokratischen und republikanischen Ordnung. Während es nach wie vor Distanzen zwischen idealtypisch linkem und rechten Denken gibt und das satte Grau dazwischen, so streben die abseits der Ränder stehenden weltanschaulichen Blöcke (und da schließe ich die AfD und die Linkspartei ausdrücklich mit ein) nicht mehr aus der Demokratie hinaus, sondern sind sich vor allem in Bezug auf die weltanschauliche Ausgestaltung der Politik uneins, ein wenig euphemistisch ausgedrückt. Der revolutionäre, von Wurm progressiv verbrämte, Charakter einer stark linken Politik klassischen Zuschnitts kann nicht anderes gelten als radikal und demokratiefeindlich. So steht jemand, der sich zur Demokratie bekennt, selbst wenn er weltanschaulich mit allen anderen Kräften dort über Kreuz liegt, zwangsläufig näher an den bürgerlichen Kreisen, als diejenigen, die dieses System, aus welchen Absichten auch immer, umzustürzen gedenken. Während die Linkspartei hauptsächlich und in der Sache, auf dem Boden der demokratischen Ordnung steht (auch wenn Personen, Plattformen und auch ihre Jugendorganisation die Nähe zum linken Rand pflegen) und agiert, tut dies die IYSSE mit ihrer Forderung nach der Überwindung des Systems und dem offenen Kokettieren mit der Rhetorik und dem Ziel der Revolution eindeutig nicht.

Es erscheint daher, um zu meinen abschließenden Gedanken zu kommen, als fragwürdig, wenn allein die Idee der Gründung einer AfD-Hochschulgruppe nicht allein seitens der linken studentischen Kräfte sondern allgemein Bedenken bezüglich der Offenheit und Demokratie auslöst, während in einer Art rotem Hochschulsumpf seit Jahren Vereinigungen wie die IYSSE – und sie ist nur ein hier vorgeführtes Beispiel, diese oder ähnliche Denkweisen wird man in vielen linken Studentenparteien finden – mit ihrer antidemokratischen Gesinnung blühen können, ohne das dies im Fokus der Öffentlichkeit stünde und dass die Dominanz der Studentenparlamente und AstAs an Hochschulen mittlerweile auch zu Eingriffsversuchen in die Freiheit der Lehre und Forschung führt, wie die Beispiele Münkler und Baberowski oder kürzlich Rauscher an der Uni Leipzig zeigen.

Doch all dies bemäntelt man mit dem Begriff des Antifaschismus. Nun ist der Kampf gegen Faschisten sicher nichts, was einem guten Demokraten nicht gut zu Angesicht stünde, doch ist dies für Linke nichts als ein Alibi Begriff. Was für die IYSSE und andere als (proto)-faschistisch anzusehen ist, hat Wurm ausgeführt und jeder der nicht zu seinem Haufen gehört, sollte sich die Frage stellen, ob er nicht in Zukunft aus Sicht Wurms Teil des Problems sein könnte, das er zu lösen gedenkt. Was wir heutzutage mehrheitlich unter Begriff des Antifaschisten, der Antifa, verstehen, sind nichts anderes als die handgreiflicheren und übergriffigeren Auswüchse der Lehren, denen Wurm und seine Gesinnungsgenossen angehören und die sich nicht scheuen die Methoden derer anzuwenden, die sie zu bekämpfen vorgeben. Vom bis ins Persönliche hinein reichenden Terror, Sachbeschädigung, Körperverletzung zur Mundtotmachung von Gegnern und Abkapselung von der Gesellschaft. Drum möchte ich diese umfangreiche Wiedergabe an der Stelle damit beschließen, einen der älteren Gäste der IYSSE so getreu wie möglich wiederzugeben. Er sei nämlich froh, dass man uns (euch) den Antifaschismus so eingetrichtert habe, wie ihm in der DDR. Und es sei unglaublich wie hier (gemeint die BRD) die Antifa mit Füßen getreten werde.

Quo Vadis AfD?

Anlässlich des Parteitages der AfD in Hannover habe ich mir ein paar Gedanken über die drei Flügel der Partei, der Bedeutung der Liberalen in der Partei und der Personen Petry und Höcke gemacht. Die Überarbeitung des Artikels hat sich hingezogen, deshalb wurde noch einige zeitspätere Ergänzungen vorgenommen.

Anlässlich des Parteitages der AfD in Hannover habe ich mir ein paar Gedanken über die drei Flügel der Partei, der Bedeutung der Liberalen in der Partei und der Personen Petry und Höcke gemacht. Die Überarbeitung des Artikels hat sich hingezogen, deshalb wurde noch einige zeitspätere Ergänzungen vorgenommen.

Ich merke wie mich die letzten Artikel zum aktuellen Zeitgeschehen von grundsätzlicheren Betrachtungen und auch anderen Aufgaben zur Zeit fernhalten. Allerdings bietet der AfD-Parteitag, der dieses Wochenende in Hannover stattgefunden hat, einen Anlass über Dinge zu sprechen, die ich schon seit geraumer Zeit noch in Worte kleiden wollte und dann irgendwie verpasst habe. Da haben sich einige Gedanken summiert, die ich gerne jetzt abhaken möchte. Ich will mich daher mit dem Parteitag auch gar nicht soweit inhaltlich und seinen Ergebnissen befassen oder dem mal wieder obligatorischen Großaufgebot antidemokratischer „breiter Bündnisse“ im Zusammenspiel mit der Antifa, die es mal wieder unmöglich macht, eine in unserer Demokratie eigentlich absolut normale Veranstaltung mit einer angemessenen Würde über die Bühne gehen zu lassen. So wie es zuletzt auch schon auf der Frankfurter Buchmesse der Fall war aber auch schon beim Bundesparteitag der AfD im letzte Jahr. Wer sich für eine kleine Brandrede zu diesem Thema interessiert, mag ich dieses frische Video von Friedrich von Osterhal zu diesem Thema empfehlen:

Mir geht es um ein Thema, das jetzt auch die Presse beschäftigt. Auf einem Parteitag werden inhaltliche Schwerpunkte gesetzt und besprochen und daran gebunden auch neue personelle Realitäten geschaffen. Wer führt die Partei bis zur nächsten turnusgemäßen Neuwahl? Und wohin steht zu erwarten, dass diese Person die Partei führen? Flügelkämpfe sieht die Presse, nicht ganz zu Unrecht, wohl aber eine solche Richtungsdebatte auch Kerngeschäft der internen demokratischen Verfasstheit gesunder Partein ist und sein sollte, so sieht es auch das Parteiengesetz vor. Aber natürlich will man wissen, wohin der „gärige Haufen“ steuert und ob er eben übersäuert, statt zu reifen, wie es auf Tichys Einblick hieß. Wer sich dazu Analysen im Vorfeld aber jetzt auch im Nachgang der neuen Personalentscheidungen lesen will, kann ich die Artikel dort empfehlen. Mich persönlich interessieren personelle Fragen und die Ausrichtung von Personen wie Pazdersky an dieser Stelle nur indirekt und zweitrangig. Ich will darauf eingehen, welche Bedeutung ich den Flügeln der Partei beimesse und welche politischen AusrichtungEN ich mir in Zukunft für die Partei wünsche. Zu diesem Zweck werde ich noch einmal zwei ältere Fälle nämlich Höcke und Petry aufwärmen. Ich entwickle diese Gedanken an dieser Stelle eher spontan und greife ältere Gedanken nochmal einmal auf, es kann also sein, dass der Text etwas inkohärent wird.

Von welchem Rechtsruck reden wir eigentlich?

Da der AfD die ständige Gefahr eines zu weitgehenden Rechtsrucks, selbst von wohlwollenden Medien, attestiert wird, der wie ein Schatten über der ganzen Partei, wie ein Damoklesschwert schwebt, will ich hier einmal in die Bresche springen.In gewisserweise trifft es sich, dass ich gestern – ich schreibe dies hier am Sonntagabend nach dem Parteitag – eine kleine Diskussion auf Twitter dazu hatte. Wenn wir über den „Rechtsruck“ der AfD reden, reden wir über eine Grundsatzfrage, von der aus sich auch klären lässt, was wann wie und ob überhaupt nach rechts rückt.

Die AfD ist ein besonderes Phänomen, das prinzipiell drei große geistige Strömungen verbindet, die sich organisch aus der Dynamik des Parteientwicklungsprozesses zusammen gefunden haben. Die AfD ist Fleisch vom Fleische der CDU und der FDP, die in zwei für deren politische Identität zentralen Punkten nämlich einer (neo)liberalen Wirtschaftspolitik und liberalkonservativen bis rechtskonservativen Gesellschaftspolitik sämtliche Substanz verloren haben. Dies geschah im Zuge der Sozialdemokratisierung der CDU und politischen Herausforderungen wie der Finanz- und der Eurokrise. Dies war der ursprüngliche Spaltnagel, der von der Flüchtlingskrise nur noch einmal schärfer eingeschlagen wurde. Das Wählerklientel der AfD ist nicht etwa das Ergebnis einer ursächlichen Verrechtung der Gesellschaft sondern der Verlinkung der etablierten Parteien, die mit ihren Häutungen in Richtung Links-Mitte sowohl Politiker als auch Wähler hinter sich ließen und ignorant gar nicht in Betracht zogen, sie könnten sich von ihnen ab und einer anderen, rechten Kraft zuwenden. So wuchs im Zuge der Euro-Krise um den damaligen Vorsitzenden Bernd Lucke eine vor allem an (Volks)wirtschaftsfragen interessierte neoliberal orientierte Partei heran, die den Euro und die EU insbesondere aus marktliberaler Sicht und wirtschaftswissenschaftlicher Vernunft fundamental kritisierte.

Im Zuge des allgemeinen Wachstums der (Wirtschafts)Professorenpartei zu einer Bürgerpartei mit breiterem Standing, nahm man dann die unzufriedenen Konservativen der CDU, die in ihrer Partei keine Heimat mehr hatten, ebenfalls auf und vereinte die damalige Zweifaltigkeit von CDU und FDP eben direkt in einer einzigen Partei. Ideologisch war man sich nämlich aus den alten Zeiten ja immer noch nah.

Die dritte große Strömung zog vor allem peu a peu ein und orientierte sich am Versprechen der AfD eine Alternative zu sein und sich auch gesellschaftlichen Strömungen anzunehmen, die im zunehmend links-dominierten Diskursraum gar keine Daseinsberechtigung mehr zu haben schienen. Diese Leute sind nicht genau mit Konservativen deckungsgleich, auch wenn man sie in der CDU als rechtskonservative bezeichnet hätte, sondern kommen und kamen aus dem großen Zwischenfeld zwischen der CSU und der NPD. Die Rede ist von den Deutschnationalen.
Es ist eine ziemliche Vereinfachung und Verkürzung das rechte Spektrum so zu sehen, als passte zwischen CSU und NPD kein Blatt Papier mehr auf dem politisch-rechten Spektrum und als hörte damit rechts von der CSU der Bereich des Tragbaren automatisch auf. Das ist eine, ich will das hier an der Stelle nicht zu weitreichend ausführen, seit Jahren gepflegte und nützliche Tradition gewesen, alles was irgendwie national oder patriotisch gesinnt war, mit der Nazi-Keule zu den Nazis und ihren Parteien (insbesondere die NPD) zu schlagen, ob das nun wirlich Neo-Nationalsozialisten oder Faschisten waren oder nicht, ob es Rechtradikale und -extreme waren oder nicht. Und die Nazis nahmen sie natürlich dankbar auf. Es wurde diesen Parteien und Organisationen so gezielt ermöglicht auf Jahre hinweg die Deutungshoheit über den gesamten nationalen Raum zu beanspruchen und ihn zu vertreten. Man wollte ihnen den auch gar nicht mehr streitig machen. Wer Patriot, wer ein (gemäßigter) Nationaler war oder sein wollte, hatte wenn er nicht unpolitisch bleiben wollte, kaum andere Möglichkeiten als halbseidende von ewiggestrigen, demokratiefeindlichen Ideen durchdrungene Parteien oder Organisationen.
All diese Leute, denen das bisherige deutschnationale Angebot zu radikal, zu extrem war, die zurückscheuten vor Demokratiefeinden, Rassisten und Antisemiten aber die mit der aufziehenden Multi-Kulti- und späteren Zuwanderungspolitik nicht einverstanden waren, fanden in der AfD eine Kraft, die sie ufnahm und nicht gleich samt und sonders ausgrenzte, wie es CDU und CSU getan hatten, die sich das Nationale nur dann und wann wie den Christbaumschmuck einmal im Jahr umlegten.

Am Ende besteht die AfD nicht, wie kolportiert, nur aus einem liberalen und einem rechten Flügel. Das ist wiederum nur ein Ausdruck des Verlernens einer Differenzierung. Der rechte Flügel der AfD sind nämlich eigentlich zwei Flügel. ImE rgebnis sind es also eine liberale Strömung, eine konservative bis rechtskonservative Strömung und eine deutschnationale Strömung. Sicher haben die letzteren Beiden inhaltliche Überschneidungspunkte, sind aber keine kongruente Angelegenheit. Gauland, der gerne als rechter Hardliner dargestellt wird, ist als CDU-Urgestein eher Vertreter des Konservatismus in der Partei als eines dezidierten Nationalismus.

Wenn von einem Rechtsruck der AfD gesprochen wird, dann meint man aber hauptsächlich die Deutschnationalen (auch wenn gerade den Kritikern von links auch schon die Konservativen zuviel sind) und will damit aber vor allem den linken Gedanken eines allgemeinen moralisches Ausschlusses jeder Art nationalgesinnter Politik oder Theorie aus dem legitimen Diskurs weiter durchsetzen. Nationalismus an sich wird als unvertretbar aufgefasst, die Radikalität oder Fragen nach der Liberalität spielen dabei keine Rolle mehr.
Eine andere Setzung schien in dem Gespräch von gestern auf. Da meinte einer: eine national-liberale Ausrichtung könne er tolerieren, freilich nicht unterstützen, aber er würde sie als Teil des Diskurses damit anerkennen. Und hier sind wir bei einem Problem.
Das „liberal“ sagt nur etwas darüber aus, wie zudringlich die Proklamation des Nationalen in das Leben der Bürger mit gesellschaftlichem Druck oder staatlicher Zwangsgewalt einzugreifen gedenkt. Verwechselt, das Gefühl hatte ich zumindest, wurde das mit einer bestimmten Ausrichtung des Nationalismus, wo wir nämlich beim eigentlich definierenden wären, nämlich welche Art von Nationalismus man idealtypisch anstrebt.

Nun hatte ich zu dem Thema einen eigenen Artikel geplant (der auch den Begriff „völkisch“ kritisch beleuchtet), kam aber noch nicht dazu, ihn zu schreiben, deshalb will ich es an der Stelle kurz halten, dass man in der Politikwissenschaft nationalistische Ansätze je nach Nationsbegriff auf einem Spektrum zwei Idealtypen zuordnen kann. Das ist einmal der republikanische und das andere der völkische Nationalismus. Der republikanische Nationalismus stellt idealtypisch die Staatsbürgerschaft bzw. den Staatsbürger ins Zentrum der Betrachtungen und orientiert sich an Wert- und Verfassungstreue gegenüber dem spezifischen Staatskonstrukt, etwas das mit dem Verfassungspatriotismus in hohem Maße verwandt ist. Der völkische Nationalismus definiert die Nation primär durch Volkszugehörigkeit, durch qualitative Merkmale wie Abstammung oder im weiteren Sinne Identität (gemeinsame Sprache, Kultur, Geschichte, etc.) und formuliert auf dieser Ebene vor allem inhaltliche und weniger formelle Ansprüche.
In der Realität haben wir zwar häufig Nationalismen, die in der Geschichte mal mehr dem einen oder anderen Idealtyp zugeneigt waren, finden aber hauptsächlich Mischformen. Tatsächlich erfasst ein ausgewogener Nationalismus, der beide Seiten bedient, einen Staatsbürger auf beiden Ebenen, verbindet also Zuneigung und Pflichtgefühl gegenüber einem guten und gutgeordneten Staatswesen mit der Tradition aus der es gewachsen ist. In Deutschand herrscht ein Mangel am idealtypisch völkischen Element. Wir sind, so zumindest meine Einschätzung, bis an die Grenzen einer inhaltlichen Selbstverleugnung an den Idealtypus einer Staatsbürger-Nation herangerückt, entbehren aber auch eines Verfassungspatriotismusses ganz stark, weil auf Seiten der sogenannten Biodeutschen die staatliche Autorität als verdächtig demontiert wurde, auf der Seite der Neudeutschen zu diesem Staat in der Regel keine stärkere Bindung besteht, als ihn als einen Anspruchserfüller zu sehen, dem man nur deshalb nicht direkt feindlich gegenüber steht, weil es einen inhaltlich so machen lässt, wie man will.

Nun hat das völkische Element (und allein der Begriff ist außerhalb eines wissenschaftlich-beschreibenden Kontextes unrettbar kontaminiert) einen aus historischen Gründen schlechten Stand, weil die Nazis das Ganze bis hin zu einem rassenkollektivistischen Wahn übersteigert haben, der nicht nur extrem sondern auch totalitär war. Manche nehmen das zum Anlass deshalb Anliegen eines idealtypisch völkisch orientierten Ansatzes, samt und sonders zu beerdigen.
Wenn also von nationalliberal gesprochen wird, meinte mein Gesprächspartner aber vermutlich a priori republikanisch, da sich in der Vorstellungswelt der meisten ein völkisch orientierter oder zumindest ausgeglichener Nationalismus (wir befinden uns wie gesagt auf einem Spektrum) aus sich selbst heraus illiberal oder gar rassistisch sei. Wie gesagt lagen historisch ohnehin immer nur Mischformen vor, sodass das staatsbürgerliche Element und eine freiheitliche Verfassung illiberalen Tendenzen Grenzen setzen, es also zwangsläufig zu keiner Entfesselung des Nationalismus kommen kann, sofern das Staatswesen an sich gesund ist und die Historie belegt eben auch nicht die Thesis einer zwangsläufigen totalitären Entwicklung, die ein Nationalstaat, der sich auch dem völkischen Element zuwendet, nimmt.
Also zur Korrektur: Nationalliberal kann auch ein liberaler völkischer Nationalismus sein, wie wir ihn auch neben dem starken Staatsnationalismus im Deutschen Kaiserreich bei den gleichnamigen Parteien auch fanden.

Eine breite Vertretung im rechten Spektrum

Nun hatte besagter Gesprächspartner eingewandt die AfD sei rechter als die CSU von vor zehn Jahren, was gleichsam nicht viel heißt, da in den späteren 2000er Jahren die CSU wie die CDU schon stark das traditionale nationale Element eben in den Hintergrund gedrängt hatte. Rechtskonservativ mag man noch gewesen sein, also in gesellschaftspolitischen Fragen an den Grenzen des Reaktionären, wobei selbst das zu der Zeit schon stark auf dem Rückzug war. Das Nationale hatte man zu dem Zeitpunkt abseits von überflüssigen Debatten wie um das Holocaust-Mahnmal in der Berlin, längst überwiegend hinter sich gelassen. Wie gesagt: Christbaumschmuck, nicht mehr.
Es ist also schon in Frage zu stellen, ob von „rechter“ überhaupt zu sprechen ist, sondern eher die Frage zu stellen ist, welches Rechts da bearbeitet wurde. Zu sagen eine Partei sei rechter, weil sie sich nationaler/ nationalistischer Politik überhaupt wieder zuwendet, ist schon fragwürdig, wenn man sie nicht an die Radikalität der Forderungen adressiert. Es kann sicher auch eine Haltung sein – und das will ich einem (Links-)Liberalen, wie meinem Gesprächspartner, auch nicht absprechen – das per se eine völkischere Herangehensweise Freiheiten (insbesondere Freiheit der Migration) zugunsten des Traditionalismus einschränkt und jede Freiheitseinschränkung per se als wenig liberal oder illiberal gilt, das wäre aber eine Verkürzung wie die, dass von einem sehr linken Standpunkt aus freilich alles rechts aussehen muss. Auch Maßnahmen zur Steigerung der Sicherheit schränken Freiheiten zwangsläufig ein. Die entscheidende Frage ist immer in welchem Maß.

Weil die AfD diesen deutschnationalen Flügel hat, hat sie ein Alleinstellungsmerkmal und auch etwas von Bedeutung, das sie von den nominell konservativen Alparteien unterscheidet. Dieser deutschnationale Flügel, selbst erstmal von einer nationalistischen, tradtionell identitäspolitischen Agenda getrieben, ist an sich auch noch einmal heterogen eben in der Radikalität der Ansichten und politischen Forderungen. Ich halte diesen Flügel gerade in einer Zeit, in der die Gesellschaft von einer Identitätsdebatte getrieben wird, die die Rechten nicht gestartet haben, wichtig, weil sie alternative Antworten geben, auf ein Konzept von Internationalismus und Multikulturalismus, in dem sich große Teile der Linken und Liberalen im Grunde einig sind, wenn sie auch noch über die Umsetzung und Radikalität streiten.
Eine Nationaldebatte wäre im letzten Jahrhundert sinnlos gewesen, in einer Zeit in der mit Massenmigration und einem fortschreitenden Verzicht auf das Eigene politische Fakten geschaffen werden, hat dieser Debattenbeitrag seine Berechtigung und ist nicht einfach arrogant, präskriptiv als gegenstandslos zu verwerfen. Wie gesagt wir haben die Debatte nicht begonnen, wir antworten nur darauf. Die AfD ist eine demokratische, parlamentarische Kraft und daher am ehesten dazu geeignet diese Debatte im Namen aller konstruktiv und legitim zu führen, die bisher dafür nur die NPD oder Ähnliches zur Verfügung gehabt hätten und davor zurecht zurückscheuten.
An dieser Stelle leistet die AfD dann auch einen unglaublich wichtigen Beitrag eben, in dem sie die ganze Breite des rechten Spektrums auf demokratischem Boden, einschließlich demokratisch orientierter Nationalisten, abdeckt und damit anders als CDU und CSU keinen Leerraum übrig lässt, in dem Rechtsextreme wildern können. Die Alternative für Deutschland hat damit geschafft, was millionenteuren Rechtspräventionskampagnen über Jahrzehnte nicht vergönnt war: das Geschmeiß der NPD zu marginalisieren und an die Wand zu drücken, sie aus den Parlamenten zu entfernen.

Debatten darüber also ob die AfD zu rechts wird, muss man daher von zwei Feldern beobachten. Für die Leute, die diese Debatten in der Regel anstoßen, ist wie meinem Gesprächspartner bereits eine mehr identitäre nationale Politik zu rechts, die anderen sorgen sich mit einiger Berechtigung darum, dass der rechte Flügel übersteuern und den Boden des Angemessenen, Liberalen und Demokratischen verlassen könnte. Ich bin daher in einer Zwickmühle nämlich einerseits generalisierte Angriffe auf den deutschnationalen Flügel an sich, als Fehler und zudringlich abzuwehren, andererseits auch über gewisse Entwicklungen und Personen nicht glücklich oder besorgt zu sein.
Das führt mich in die unangenehme Lage einerseits bei Leuten die den deutschnationalen Flügel der Partei zurückschneiden wollen, weil sie die Übernahmegefahr von rechts fürchten, einerseits zu widersprechen, weil die AfD sich sonst an einer für die heutige Zeit wichtigen Strömung kastriert, sie damit aber gleichzeitig inhärent dabei zu behindern, gegen Elemente vorzugehen, gegen die ein Vorgehen absolut angemessen wäre, um zu verhindern, dass der Deutschnationale Flügel extremistische Tendenzen entwickelt.

Ein Björn Höcke zum Beispiel, auch wenn bei näher Betrachtung einige der Aussagen von ihm, nicht so skandalträchtig waren, wie sie dargestellt wurden, hat etwas in seiner Art, seiner Rethorik, aber auch an Unklarheiten aus der Vergangenheit, an sich, dass es mir schwerfällt darauf zu vertrauen, dass er nicht einfach ein rechtsextremer Wolf ist, der Kreide gefressen hat. Er ist in jedem Fall eine politische und womöglich auch ideologische Belastung für die Partei. Ich habe daher auch einen Parteiausschluss befürwortet. Da der wiederum vor großen formellen Hürden steht, immerhin hat es die SPD auch nicht geschafft seinerzeit Sarrazin loszuwerden, obwohl man sich da prinzipiell einig war, sollte man selbst wenn der Ausschluss nicht klappt, dem Mann nicht noch zu höheren Positionen verhelfen. Ich verstehe warum der rechte Flügel um Höcke zusammenrückt, nämlich Charaktere wie Pazderski bspw. planen ja relativ offen gegen die Deutschnationalen vorzugehen, aber es bringt nichts sich durch Männer wie Höcke oder Gedeon von zweifelhafter Gesinnung in ein schlechtes Licht rücken zu lassen. Stattdessen sollten dort gemäßigtere Stimmen die Moderation und Vertretung übernehmen, statt Höcke durch ewige Debatten noch in seiner Position als „Repräsentant“ des rechten Flügels zu bestätigen.
Vielmehr sollte sich nicht die AfD von den Deutschnationalen emanzipieren, das würde sie belanglos in wichtigen Fragen machen, sondern die Deutschnationalen sollten sich – und sollten auch dazu aufgefordert werden, sich von Extremisten und verbalen Eskalierern zu emanzipieren und Repräsentanten suchen, die die deutschnationalen Anliegen in einem gemäßigten, konstruktiven Maß artikulieren, ohne in anbiedernden Opportunismus zu verfallen.

Man sollte auch aufhören Gauland als einen Vorantreiber dieses Rechtsrucks zu sehen, weil seine Position ja klar und deutlich eine konservative ist. Das ist vielleicht Konservatismus von vor 30 Jahren, aber eben etwas, dass im Gegensatz zum deutschnationalen Kurs weder der CSU noch der CDU zu ihren wirklich konservativen Zeiten fremd war. Man kann das heute für nicht mehr zeitgemäß halten, das tue ich persönlich auch bei einigen Sachen nicht mehr, allerdings enthält das Wahlprogramm einen Fokus auf wertkonservativen Ansätzen, die ich selbst unserer heutigen Zeit noch für angemessen halte: Leistung, Bildung, Rechtseinhaltung und ein funktionierender Staat. Eine Hinwendung zum Christentum, die sich sogar erstaunlicherweise fortschreitend im dauernden Konflikt mit den Kirchen stark abschwächt und eine allzu exklusive Familien- und Ehepolitik mögen nicht mehr ganz meinen Maßstäben entsprechend, aber das kann ich aushalten. Im Endeffekt fängt damit die Partei genau jene ab, denen man vor ein paar Jahren auch noch nicht abgesprochen hat, demokratisch zu sein, obwohl sie die CDU/CSU für diese Sachen gewählt haben. Auch hier verbreitert man seinen Stand im rechten Spektrum.

Im Endeffekt geht es genau darum mit diesen zwei rechten Flügeln die ganze Bandbreite des rechten Spektrums zwischen Konservatismus und Nationalismus aufzunehmen und eben keine Vertretungslücken mehr zu lassen. Diese Breite ist dann die demokratische Aufgabe und Besonderheit und gleichzeitig die Stärke, die die AfD ausmacht. Was sich stets finden muss und was am Ende anhand der gerade akuten gesellschaftlichen Probleme wie in jeder Partei ausgehandelt werden muss, sind der Fokus und das Kräfteverhältnis. Die Migrationsfrage und schlussendlich auch die Kultur- und Identitätsdebatte, die in dessen Zug angestoßen wurde, führen zwangsläufig zu einer stärkeren Bedeutung eines deutsch-nationalen Debattenbeitrags inner- und außerhalb der Partei. Das ist der Sache zur Zeit angemessen. Das kann und soll sich ändern, sobald andere gesellschaftliche Fragen drängender werden, aber erst dann.

Die essentielle Bedeutung der Liberalen

Die Liberalen nehmen in der AfD damit wiederum eine Schüsselstellung ein. In ihnen liegt einerseits ein Teil der wirtschaftspolitischen Kernkompetenz der alten Lucke-AfD, zum anderen sind sie diejenigen, die auch weiterhin das wichtige Thema EU und Euro auf dem Schirm haben. Tatsächlich ist die Eurokrise, wie auch die sie bedingenden Folgen der Finanzkrise, nicht ausgestanden. Sie wird inzwischen nur überlagert in Deutschland von der guten Konjunktur auf der staatlichen Ebene von einer Nullzinspolitik, die im Hintergrund allerdings für den einfachen Bürger eine schleichende Zersetzung des privaten Wohlstandes darstellt. Der Unruheherd Griechenland kann jederzeit wieder ausbrechen, neue Schuldengarantien fällig werden und die Androhung eine Schuldenvergemeinschaftung steht nach wie vor im Raum. In dieser Frage bleiben liberale und euroskeptische Stimmen wichtig und relevant. Alice Weidel ist daher auch eine gute Wahl als Vertreterin dieser liberalen Strömung, weil sie die Euro-Politik nach wie vor als wichtiges Thema auf der Tagesordnung hält, aber weil sie auch einen einen progressiveren liberalen Kurs vertritt und verkörpert, was sie und die Liberalen zu einer wichtigen Ergänzung der Konservativen und Deutschnationalen macht.

Linke und Rechte Identitätspolitik haben das Momentum, dass sie kontextgebunden richtig und notwendig sein, aber ebenso zu einer Übersteuerung bis hin zu Illiberalität und Extremismus neigen können. Sicher ist viel auch an die Selbstbeherrschung und eine gesunde demokratische und liberale Grundhaltung auch der Deutschnationalen zu richten, gleichzeitig kann und muss diese durch einen Flügel, der die freie Geistes- und Entscheidungshaltung des Menschen hochhält, bestärkt werden. Also die wichtige Prämisse hochzuhalten, in die persönliche Freiheit, wenn überhaupt, so maßvoll und geringfügig wie möglich und nötig einzugreifen. Dies dürfte letztlich der beste Schutz der Partei davor zu sein, sich zu einem rechten Spiegelbild links-regressiver Bewegungen wie des Feminismus der dritten Welle zu machen.

Gleichsam müssen die Konservativen der AfD Konzepte dafür entwickeln, die Herausforderungen der neuen Zeit und inzwischen anerkannte gesellschaftliche Normalitäten, wie die Beziehung von Homosexuellen in ein konservatives Weltbild zu integrieren, insbesondere wenn diese konservative Kernwerte wie Familie und Ehe – anders als die Suggestionen und Projektionen der Linken vermuten lassen – auch leben wollen. Hier könnten liberale Kräfte und die offen als homosexuell auftretende Alice Weidel oder Fürsprecher wie David Berger (Philosophia Perennis) helfen alte konservative Lager- und Feindesgewissheiten zu überwinden.

Das führt mich an der Stelle jedoch zu einem unschönen Fall vom Anfang der aktuellen Wahlperiode zurück, der mit diesem frommen Wunsch in Beziehung steht.

Der Fall Petry

Wie soll es auch anders sein, spreche ich von der Causa Petry. Ich muss sagen mein Gefühlsbild damals schwankte zwischen „Jetzt macht sich die AfD, doch unmgölich“, Zorn und Verständnis. Das erste schwand mit der Zeit zuammen mit den guten konstruktiven Arbeit der Bundestagsfraktion, das Verständnis löste sich jedoch innerhalb der ersten Tage sehr schnell auf. Geblieben ist ein gewisser Zorn. Auch wenn ich nicht so weitgehen will, von einer Dolchstoßlegende zu sprechen, ist Petrys Abgang auch in der Nachschau für mich vor allem eines: ein hinterhältiger und maximal schändlicher Verrat.

Das Verständnis zu Anfang hatte ich aus drei Gründen. Einerseits hatte mich etwas, dass Blogger Kollege Pietsch auf Twitter gesagt hatte, maßgeblich verägert. So war ihm wegen früherer Mitgliedschaft in der Linkspartei der Parteieintritt verweigert worden. Und ich extrapolierte das an der Stelle, auch als jemand der mit dem Gedanken spielt in die AfD einzutreten: Wir träfen quasi eine Lebensentscheidung. Wenn die AfD aus irgendeinem, Fortuna möge es verhüten, Grund scheitert oder man sich inhaltlich tatsächlich völlig auseinander entwickelt, würden wir doch auch hoffen, dass uns andere Parteien eine Chance geben. Deshalb hat es mich maßgeblich wütend gemacht zu hören, dass der Herr Pietsch als Patriot scheinbar als zu links von einer Beteiliung ausgeschlossen wurde. Weshalb ich, um den weiteren Ausführungen an der Stelle vorzugreifen, auch verstehen kann, warum er sich jetzt lieber der Blauen Wende zugewandt hat.
Ein anderes Problem war, dass schon damals im Raum stand, dass Personen wie Höcke womöglich gute Chancen hätten auf wichtigere Positionen in der Parteihierarchie aufzurücken, jetzt wo der Einzug in den Bundestag geschafft war und das freilich ein tatsächlicher „Rechtsruck“ gewesen wäre, den ich so nicht unbedingt hätte mittragen wollen.

Dann kam also Petry. Ihr Verrat an der Partei geschah, da sollte sich keiner, auch der Herr Pietsch nicht, Illusionen hingeben, aus ganz und gar eigennützigen Motiven. Die ganze Blaupause des Vorgangs finden wir so eins zu eins im Ausstieg von Bernd Lucke früher. Die Ironie der ganzen Sache, vielleicht auch Frechheit, ist darin zu sehen, das Petry an dem Vorgang seinerzeit maßgeblich beteiligt war. Es gab einen internen Machtkampf, den Lucke, der die Partei zunehmend autoritär zu führen gedachte, gegen eine Frauke Petry verloren hat, die die Partei, ebenfalls Ironie, nach rechts öffnete und verbreiterte. Lucke, der aber vor allem diese persönliche kränkende Niederlage nich verwinden konnte, trat aus und gründete eine eigene Partei. Das war ALFA und von ALFA, tja da hört man nichts mehr.
Was Lucke damals schon anrichtete, war ein Partei-Exodus vieler Liberaler und auch wirtschaftlich kompetenter Personen, ihn eingeschlossen. Auch wenn ich in der Nachschau sehe, dass seine Entfernung und vielleicht auch die der Liberalen zunächst notwendig war, um die Partei überhaupt zu öffnen und zu verbreitern – ALFA erwies sich als eine weiche Beta-Bewegung – wünschte man sich heute doch gesetzte Leute wie Lucke, Biederkeit und Fachkompetenz, manchmal als einen Teil der internen Debatte zurück.

Umso frecher wirkt es, dass Frauke Petry, die die Öffnung nach Rechts opportunistisch gegen Lucke voran- und ihn ins Exil getrieben hat, jetzt genau den gleichen Weg wie Lucke beschreitet, eins zu eins und glaubte, sie würde im Gegensatz zu ihm damit durchkommen. Sie hat einen internen Machtkampf gegen Weidel, Gauland und Meuthen verloren. Es ging nicht um allzu gravierende ideologische Differenzen, denn die bilden sich anhand der Flügel in der Partei ohnehin im Widerstreit ab. Petry stünde gewissermaßen zwischen all diesen Positionen und hätte sich auch in der Partei weiter wiedergefunden, denn ein Problem hatte sie mit der Entwicklung der Partei bis zu ihren gescheiterten Ambitionen auch erkennbar nicht. Die jetzt erfolgte Abgrenzung ist maßgeblich ihrem Machtwillen geschuldet.
Nicht anders kann man nämlich auch erklären, dass sie in der Wahl von Art und Zeitpunkt ihres Rück- und Austrittes der Partei maximalen Schaden zugefügt hat und offenkundig auch zufügen wollte, denn sie musste wissen, was es für die AfD bedeuten würde. Noch einen Tag zuvor lässt sie sich von Wählern, in der Erwartung damit die AfD, vielleicht auch sie als Person, zu unterstützen in den Bundestag wählen, auch mit dem Versprechen zusammen mit der AfD Fraktionsarbeit zu betreiben und Opposition zu sein, um sich dann ohne Rücksprache mit der Partei, ihren Kollegen, auf der darauffolgenden Pressekonferenz wie aus heiterem Himmel abzusetzen und die Leute, die man gerade noch Parteigenossen und Kollegen genannt hatte, der Lächerlichkeit und dem medialen Zerriss preiszugeben. Der Image-Schaden der Partei in den ersten Tagen des neuen Bundestages und aufgeworfene interne Probleme vor der Herausforderung der Bildung einer handlungsfähigen Fraktion im selbigen, kann man wohl kaum in Schadenshöhe beziffern. Zumindest verfing der Aufruf zur Spaltung der AfD nicht. Der Exodus an Parteimitgliedern hielt sich in Grenzen und wurde durch neue Parteieintritte aufgefangen.

Dolchstoß, wie es dann in vielen patriotischen Kanälen hieß, wäre wohl auch aus historischer Sicht unangebracht, aber wie der Herr Lichtmesz kürzlich [Anm.: Die Überarbeitung des Artikels hat sich jetzt mehrere Wochen hingezogen, weshalb noch Ergänzungen gemacht wurden] von Petrys 30 Silberlingen, ihrem Judas Lohn, zu sprechen, erscheint mir dann für eine Verräterin gewissermaßen passend. Tatsächlich hat ihr ihre eigennützige Distanzierung von der AfD inzwischen einen bis zum Himmel stickenden Status einer Jeanne d’Arc eingebracht. Sie ist umgefallen und hat sich dem medialen Mainstream genug angebiedert, dass diejenigen, die sie noch als rechte nazieske Hardlinerin beschimpft haben, nun versöhnliche Töne anschlagen oder sie auch mal mit freundlicheren Fotos ablichten als bisher.

Und das freilich während sie sich in Berlin auf einem womöglich erschlichenen (sie ist zwar direkt gewählt worden, es bleibt aber fraglich ob ihrer Person wegen oder wegen ihrer Parteizugehörigkeit) Abgeordnetenposten aushalten lässt. Mit etwas Anstand hätte sie diesen Sitz, den sie einer aus ihrer Sicht inzwischen schädlichen Partei, verdankt, abgetreten. Aber vier Jahre Bezüge sind sicher kein schlechter Ausgangspunkt für die Blaue Wende. Man möge hoffen, dass vielleicht vorgezogene Neuwahlen dafür sorgen, dass sie noch einmal unter Beweis stellen kann, ob ihr Direktmandat verdient ist. Ihr Geschwurbel also davon, dass die AfD ein Extremismus- und Radikalisierungsproblem in Richtung Rechts habe und das sie deshalb austritt, ist der blanke Hohn.

Allerdings, das habe ich damals gesagt und dazu stehe ich noch, wir sollten ihre Worte dennoch im Hinterkopf behalten.

Petrys Schaden und die Spannweite der Flügel

Die Alternative für Deutschland muss darauf aufpassen, dass sie ihre liberalen Wurzeln nicht abschneidet, also sowohl national, konservativ aber auch liberal in einem Gleichgewicht der Kräfte hält. Erst der argumenative Streit und die gegenseitige Mäßigung erzeugen in einer verträglichen Konvergenz einen glaubwürdigen, einen vertrauenswürdigen und nicht-radikalen Nationalliberalismus mit konservativen Werten, dem ein Patriot weitestgehend bedenkenlos (wenn auch nicht unkritisch) vertrauen und seine Stimme geben kann. Die AfD muss dringend darauf achten, dass nicht das wahr wird, was die Petry aus reiner Schadensabsicht behauptet hat.

Die Bedeutung der Liberalen in der Partei und für die Partei kann deshalb nicht überschätzt werden. Und umso schädlicher war auch der Petry Austritt mit folgendem Exodus auch für die AfD. Denn tatsächlich, wenn es Frau Petry, tatsächlich um den Rechtsruck gegangen wäre, wenn es irgendjemanden um den Rechtsruck gehen würde, in den Medien oder unter den ätzenden Kommentatoren, dann müssen sie doch erkennen, dass der Austritt der Liberalen genau den gegenteiligen Effekt hat. Die – aller Wahrscheinlichkeit nach tatsächlich ideellen – Austritte nach Petrys Rückzug (abzüglich ihrer Claqueure) dürften die liberalen Kräfte in der Partei nämlich geschwächt haben. Wenn man nicht will, dass sich die AfD nach Rechts verliert, kann man nicht einfach wegen Debatten- und Streitfaulheit oder Kompromissunfähigkeit die Partei einfach den Rechten überlassen. Wäre Frau Petry tatsächlich an etwas in der Art gelegen gewesen, wäre sie geblieben und hätte mit den Liberalen, die jetzt noch in der Partei sind, um eine klare Linie gefochten, aber darum ging es ihr eben nicht. Wer also die AfD, trotz Sympathien, auf dem falschen Weg sieht, sollte sich einmischen statt abwenden.

Der Vorteil an einem gärigen Haufen ist nämlich, dass er – im Gegensatz zu den harten Strukturen, Funktionärsapparaten und ideologischen Verkrustungen – noch flexibel ist, wandelbar. Die AfD ist dank der Kürze ihres Bestehens immer noch eine Debattenpartei. Deshalb ist der von Petry angerichtete Exodus in seinem personell-ideologischen Schaden womöglich noch nicht zu ermessen.
Wichtig ist aber eben eine Radikalisierung zu vermeiden und entschieden zu bekämpfen. Ich würde für eine deutsch-nationale aber gleichzeitig auch liberal fundierte Partei eintreten. Also stärker an einem national gemäßigten Kurs festhalten, als Martin Sellner von der Identitären Bewegung das vielleicht würde, allerdings trifft er den Nagel in seinem ebenfalls kürzlich erschienen Video auf den Kopf, wo er sagt, dass daraus keine verwaschene Beliebigkeit entstehen darf, denn die hatten wir in patriotischer Hinsicht über vergangene Jahrzehnte mehr als genug. Der Vergleich zwischen Scylla und Charibdis zu manövrieren ist daher wohl nur passend:

Doch braucht so ein Schiff auch seine Kapitäne und Offiziere. Was bei den Diskussionen und Rochaden um das Personal, auch im kommentatorischen Umfeld dieses Parteitages, hinlänglich übersehen wurde und gerne übesehen wird, dass Führungsstreits zwar mit einer Entscheidung dann einen Strich unter einen Flügelkampf setzen, dass diese Flügelstreits aber nicht exterminatorisch geführt werden und auch nicht geführt werden sollten. Es gibt also keinen absoluten Gewinner sondern immer nur einen Gewinner auf Zeit. Der reagiert dann gut oder schlecht auf die Erfordernisse seiner Amtszeit und je nachdem, wie gut die Politik der Partei unter seiner Führung Antworten auf die bestehenden Probleme gibt, so entscheidet sich dann, ob ein Richtungswechsel dann angestrebt wird oder nicht. Derweil aber sind die anderen Flügel ja nicht tot. Ihre Politik ist vielleicht nicht zentraler Fokus aber dank der Debatte Teil des Programms und sie ziehen ja auch weiterhin Leute und Wähler der Partei an, die sich gerade von deren Fokus angesprochen fühlen.
Es wird als Schwäche der AfD aufgefasst, dass sie sich immer noch nicht auf eine zentrale Figur einigen kann, sondern wohl auch erst einmal weiter auf eine Doppelspitze angewiesen bleiben wird. Anders als bei den Grünen, wo diese Konstruktion gravierende ideologische Grabenkämpfe und Quotensysteme symbolisiert, konnte man bei der Spitze Weidel/ Gauland gerade für die Wahl aber auch für die Bundestagsarbeit eher von einem Schaulaufen sprechen. Es präsentieren sich hier nicht zwei aufs Blut verfeindete Ansätze ein und der gleichen Ideologie (Fundis und Realos bei den Grünen) sondern ein sich ergänzendes Programm.

Die AfD ist eine für Parteiverhältnisse außerordentlich junge Partei und das eben aus den drei erwähnten Herkunftsströmungen. Es ist daher absolut verständlich, dass sich aus den Synergien der drei Strömungen noch keine Konvergenz gebildet haben kann mit einer neuen Generation von Politikern die selbstverständlich mit allen drei politischen Strömungen innerhalb der Partei zugleich sozialisiert wurden. Die gibt es schlicht nicht. Umso wichtiger ist, dass in der Führung, um die Grundlage für eine solche Konvergenz zu legen, entsprechend diese Strömungen in den Debatten Berücksichtigung finden. Die Doppelspitze der AfD mag gerade für diesen Findungsprozess auch und vor allem für die Zukunft, sogar von Vorteil sein. Sie muss nicht Dauereinrichtung bleiben, man muss aber nicht zwangsläufig auf einen einzigen Chef zusteuern.
Wie behäbig und gedanklich sowie ideologisch unflexibel sich das dann auch gestalten kann, zeigt uns die CDU mit Frau Merkel jezt und Kohl damals seit Jahrzehnten, gerade wenn die Parteigenossen, wobei das bei der AfD eher nicht der Fall zu sein scheint, allzu debattenfaul und unbeweglich werden.

Die offenkundige Schwierigkeit ist, dass eine solche Führung, gerade mit einer – aus demokratischer Sicht positiven – diskussionsfreudigen Basis, ein hohes Maß an Disziplin, Kompromissbereitschaft, Teamfähigkeit und Selbstzurücknahme gegenüber der Sache aufweisen muss. Sowas dürfte man eher noch mit Konservativen finden, da diese eher bereit sind, einer Führung, auch wenn sie nicht mit ihr 100%ig übereinstimmen zu folgen, ohne zu spalten, aber man darf gewiss auch eine solche Partei nicht mit innerparteilichen Puritanismus überfordern. Das beste also wäre die AfD und gerade ihre Oberen begreifen die Spannweiten der Partei als Chance, statt alle Strömungen unter dem Gefahr des Parteibruchs unter eine einzige Linie zu zwingen. Wichtig ist, dass man intern debattiert, Parteiprogramme und den Fokus der Politik, wenn dies geboten ist intern neu verhandelt, aber an sich aber die Disziplin und Geschlossenheit beweist, die gemeinsame Sache über die internen Differenzen zu stellen.

Vor diesem Hintergrund zum Fall Petry noch ein paar nachgeschobene Worte:

Ich glaube zwar, dass Frau Petry das Tischtuch, was ihre Person angeht, unrettbar zerschnitten hat, allerdings sollte sich die AfD von den Leuten der Blauen Wende nicht abwenden, sondern ausloten, ob eine Wiedervereinigung in Zukunft nicht möglich ist und Sprachkanäle offenhalten. Es bringt niemanden weiter, aus reiner nachgetragener Bosheit Leute dauerhaft von politischer Repräsentation und Rehabilitation auszuschließen.

Marionetta Slomka: Jamaikanische Handpuppe oder Der Lindner ist immer noch an allem Schuld

Marietta Slomka betreibt als Handpuppe der Jamaika-Sondierer um Merkel Propaganda in einem Interview mit Christian Lindner. Es geht nicht um seine Sicht auf die Dinge, sondern er soll zugeben, was Slomka und das mediale Establishment ihm vorwerfen, das Ende von Jamaika aus eigennützigen Motiven verschuldet zu haben.

Marietta Slomka betreibt als Handpuppe der Jamaika-Sondierer um Merkel Propaganda in einem Interview mit Christian Lindner. Es geht nicht um seine Sicht auf die Dinge, sondern er soll zugeben, was Slomka und das mediale Establishment ihm vorwerfen, das Ende von Jamaika aus eigennützigen Motiven verschuldet zu haben.

Manchmal werden Artikel etwas persönlicher. Weil sie Berührungspunkte mit der eigenen Realität haben oder weil das Thema Gegenstand einer Konversation war, die man kürzlich hatte und in der Meinungen einen aufwühlen. Genauso eine hatte ich kürzlich. Digital freilich aber mit Leuten, die man seit Jahren kennt, schätzt, selbst wenn man sich ziemlich uneins ist. Aus diesem Gespräch werden wohl zwei Artikel entstehen, weil sie zwei eigenständige aber verwandte Themen berühren und werden sich diese Einleitung vermutlich auch teilen. Heute geht es um Marietta Slomka und ihr Interview mit Christian Lindner. Der andere Beitrag, der wird sich mit Merkel beschäftigen.

Wenn ich in meinen letzten Artikeln „Chancellor of the Weed“ oder dem kleinen SPIEGELblick-Intermezzo mit dem Verhandlungscoach von Realitätsverlust gesprochen habe, bezog sich das vor allem auf die Medien oder auf eine abstrakte Menge von Leuten. Es ist unschön, dissonant und in jeder Beziehung wohl auch unschicklich, wenn man zu der Erkenntnis gelangt, dass man die eigenen geschätzten Bekanntschaften, fairerweise eben eines solchen Realitätsverlustes bezichtigen müsste oder politischen Analphabetentums. Eigentlich ist es ja nur logisch. Die Medien kämen kaum mit ihrer Deutung durch, wenn die meisten Menschen, die sie konsumieren, nicht die Gedankengänge teilen oder ihnen eben glauben schenken würden, wo Kritik oder Zweifel angebracht wären. Nicht das wir nicht auch verleitet wären unseren rechten, alternativen Quellen über den Klee Geschichten ebenfalls allzu schnell abzunehmen.
Dennoch lässt es einen mit Schrecken zurück, wenn man mit einer Vehemenz nicht etwa eine abweichende, sondern aus eigener Anschauung kaum aufrechtzuerhaltende und stellenweise auch dumme Meinung entgegen gesetzt bekommt. Nicht von einer Einzelperson, sondern von mehreren.

Der Aufhänger der Diskussion war das erwähnte Interview von und mit Slomka. Ich binde es hier an der Stelle mal ein:

Das ließ mich doch mit einigem Entsetzen zurück, weil es eigentlich in allen Punkten unfassbar falsch und tendenziös war. Eine sehr geraffte Wiedergabe, auch meiner Meinung, findet sich da auch bei Tichy unter: „Polit-Aktivist Slomka„.

Weil ich so fassungslos war und wir ohnehin über Jamaika sprachen, hab ich das zur Diskussion gestellt und freilich auch nicht hinterm Berg gehalten und war überrascht, wie doch alle dieser Politaktivistin aus der Hand fraßen.

Journalistische Ethik und Methodik? Unbekannt.

Mein erster Kritikpunkt war sie als „Journalistin“ mit Anführungszeichen zu bezeichnen, also in Frage zu stellen, dass sie eine sei. Nun habe ich dabei den Tichy-Duktus übernommen, allerdings lässt er sich auch begründen. Journalismus ist der sachwiedergebenden Berichterstattung und der Aufdeckkung (zumindest der Annäherung) an die Wahrheit verpflichtet und fordert vom Journalisten ein kritisch zu sein, gegenüber der Sache und gegenüber Vorannahmen (insbesondere wenn es mehrere Parteien mit unterschiedlichen Versionen eines Vorfalls gibt) und seine Haltung sowieso zurückzuhalten und die Meinung auf eine einordnende Konklusio nach Abwägung der Fakten zu beschränken.
Nun war dieses Format ein Interview, also eine journalistische Methode zur Gewinnung und Darstellung von Informationen. Der Gesprächspartner soll sich und seine Sicht der Dinge darstellen und Nachfragen des Journalisten sollen dazu dienen, den Informationsfluss am Laufen zu halten und weitere, genauere oder verborgene Informationen herauszukitzeln. Was ein Interview nicht ist, ist eine Diskussion und schon gar nicht ein Format, in dem die persönliche Deutung des Journalisten oder seine Haltung irgend etwas zu suchen hat.
Das sind zumindest die Ansprüche, die ich an Journalismus allgemein und das Format eines Interviews im Besonderen stelle.

Jetzt wurde mir als entgegnet Frau Slomka hätte vor allem kritisch nachgefragt und es wäre die richtige Portion Schärfe gewesen. Sie hätte nachgefragt, um ihn von seinen einstudierten Phrasen abzubringen und die Fragen gestellt, die die Leute bewegen. Das ist falsch. Das was sie rausbringen wollte, ist der Offenbarungseid, auf den sich die Medien eingeschossen hatten: Das das Ganze ein abkartetes Spiel war, um sich in den Medien zu profilieren.
Sie hat immer wieder auf diesem Punkt insistiert und Lindner hat ihr dreimal auseinandergesetzt, dass es unmöglich gewesen ist, eine Einigung mitzutragen, die der FDP eine Gesichtwahrung und überhaupt ermöglicht hätte, irgendeine ihrer Positionen im Verhandlungsergebnis unterzubringen. Doch statt, wie es für ein Interview üblich gewesen wäre, diesen Faden fallen zu lassen, nachdem die Position klar gestellt wurde, wurde weitergemacht. Und dabei, wo wir bei Phrasendreschen sind, hat sie wie eine kleine Handpuppe Merkels quasi deren einstudierte Sätze zum Ausstieg der FDP übernommen.
An den Zusammenfassungsversuchen von Slomka wurde deutlich, wie sie die Welt sieht und welche Botschaft ihrer Meinung nach auch dieses Interview ausstrahlen sollte: Die Position der anderen Sondierer. Statt wie es ihre Aufgabe gewesen wäre, die Position von CDU, Grünen und CSU zu hinterfragen, hat sie sich auf deren Deutungsebene unhinterfragt eingelassen und Lindner angegriffen nicht befragt.
Nun muss sie Lindner keinesfalls den Ring küssen und seine Sicht der Dinge unhinterfragt übernehmen, wenn er ihr aber konsistent mehrere Male ein glaubhaftes (und nach meinem Dafürhalten glaubhafteres; dazu kommen wir gleich) Szenario auseinandersetzt, dann nimmt das Ganze solcher Art Züge an, als spräche Lindner hier mit einer Flach-Erdlerin, die zwar keinen einzigen Beleg, für ihre Behauptungen vorlegen kann, aber mit keiner vernünftigen Erklärung der Gegenseite zufrieden ist.

Ebenso verhält es sich dann eben auch in dem Momenten, in dem sie dann versucht die Aussage des FDP-Chefs einfach zu ignorieren, um dann ihre eigene Deutung, in Anwesenheit von Lindner, dann einfach in die Kamera zu quatschen, was den FDP-Chef freilich zu einer Gegendarstellung verpflichtet, was wiederum zu einer mehr talkartigen Diskussion führt, die diesem Format und der Person Slomkas einfach nicht zusteht. Ein Interview ist kein Talk, er ist auch kein kritischer Kommentar. Es ist nicht ihre Aufgabe dem Zuschauer an dieser Stelle mitzuteilen, wie er das Gesagte zu beurteilen hat.
Darüber hinaus wird sogar sehr eindeutig, dass Frau Slomka, wie viele Journalisten, hier offenbar eine Agenda verfolgt. Eine Agenda, die sich auf Jamaika bereits eingeschossen hatte und von der Rainer Zitelmann in seinem Beitrag „Drei Parteien, die nicht Selbstmord begehen wollen“, den ich bereits in vorherigen Beiträgen erwähnte, meinte, dass sie ein Hirngespinst gewesen sei – unmöglich ohne das wenigstens einer der Parteien sich vor ihren Wählern selbstzerstören müsste – und die Journalisten das eigentlich vorprogrammierte Scheitern als Sakrileg wahrnehmen. Die Schuldige ist die FDP, die nur zuerst eingesehen hat, dass es keinen Sinn hat, unter diesen Bedingungen weiterzuverhandeln.

Der Lindner ist immer noch an allem Schuld.

Am Anfang stand die Chimäre, dass die Verhandlungen ohne Weiteres eine stabile Regierung, einmal gegen die AfD, aber auch eine viel gelobte progressive Koalition, hervorgebracht hätten. Man hat versucht sich das für Merkel verheerende und kaum mehr realistische Koalitionsoptionen zulassende und eindeutig nach rechts tendierende Wahlergebnis als Chance für eine neue große Erzählung schönzureden, gerade um nicht einzugestehen, dass der Traum von Links-Schwarz-Grün gescheitert war. Jamaika wurde als Ersatz-Utopie aufgeblasen. Und ihr Scheitern erzeugt eine Dissonanz mit der Realität, die die Medien – man kann es kaum anders ausdrücken – in einer Art neuer Dolchstoß-Legende verarbeiten. Die Sondierer waren im Felde unbesiegt, nur wegen dem Verräter FDP ist der Krieg/ sind die Verhandlungen gescheitert, obwohl man kurz vor dem Sieg/ einer Einigung stand.

Das Schlimme ist, dass jeder diese von Merkel, Seehofer und Co. gestreute Ansicht der Dinge glaubt und im Fall der Medien unkritisch und dankbar aufgreift und weiter potenziert. Und was in den Medien ist, wird hier allzu vielen zur Gewissheit. Es wird vorgeworfen der Ausstieg sei geplant gewesen. Klar hat man ihn vorbereitet. Das hat Lindner auch deutlich gemacht. Wer nur mit etwas politischem Sachverstand an die Sache herangegangen ist, hätte wissen müssen, dass diese Verhandlungen kein Selbstläufer sind und die Differenzen selbst über das hinausgingen, was man sonst als harte Verhandlungen bezeichnen würde, sodass ein Scheitern jederzeit möglich war. Sich auf dieses Scheitern vorzubereiten, insbesondere wenn schon vor dem Wochenende (den Insel Utopia-Beitrag schrieb ich in besagter Nacht) kurz vor dem Aus stand, ist doch nur geboten. Allein das die FDP nochmal an den Verhandlungstisch zurückkehrte, statt den Sack an der Stelle schon zuzumachen zeigt doch, dass sie hoffte, die anderen Parteien würden einlenken.

Ich habe es jetzt schon merfach vorgebracht, aber ich rekapituliere es für diesen Beitrag noch einmal: Die AfD hat mit ihrem Wahlerfolg und ihrer Existenz zweierlei getan, was für diese Sache relevant ist. Sie hat eine Alternative geschaffen, zu der Leute gehen können, die eine eher rechtsgerichtete Politik, insbesondere in der Migrationspolitik wollen, sofern sie diese nirgendwo anders bekommen. Sie hat damit dafür gesorgt, dass die Parteien der rechten Mitte wie CSU und FDP (von der CDU braucht man nicht mehr zu sprechen) nach rechts aufrücken mussten, um dort nicht noch mehr Wähler zu verlieren. Die Folge war eine Rechtsrichtung der Wahlprogramme insbesondere der FDP. Das hat die AfD auch geschwächt und der FDP zu einem durchaus beachtlichen Abschneiden verholfen. Allerdings ist die AfD sehr stark ins Parlament eingezogen und setzt jetzt die Mitte-Rechts-Parteien unter Druck zu ihren Zusagen zu stehen. Tun sie das nicht, outen sich also als Umfaller, würden sie von der AfD bei den nächsten Wahlen gefressen.

Die FDP steht also nicht allein unter dem Druck möglichst aus eigenem Machtinteresse unter jeden Umständen in die Regierung zu kommen, sondern unter dem Druck ihrer Wähler ihre Zusagen umzusetzen oder eben keine Regierung zu bilden, die das nicht tut oder ggf. sogar das Gegenteil davon durchsetzt.
Auf der anderen Seite hast du die ideologiegetriebenen Grünen, die in praktisch den hauptsächlichen Belangen das komplette Gegenteil der FDP wollten und die davon ebenso kaum abweichen konnten, ohne von ihrer Basis zerrissen zu werden.
Das das ein praktisch kaum aufzulösender Konflikt sein würde, den man höchstens mit der Zusage die großen Problemfragen erstmal zu verschieben, hätte beiseite schieben können, wird überhaupt nicht wahrgenommen. Verhandlungen brauchen Spielräume. Die Spielräume sowohl der Grünen als auch der FDP waren aber enorm begrenzt, sodass es praktisch nichts zu verhandeln gab. Was nicht heißt, man hätte nicht doch irgendwie Kompromisse finden können.

Es ist nämlich erstaunlich, dass man jetzt der FDP das Scheitern anlastet, die traditionell als Hure der Macht gilt und ihnen vorwirft zu ideologisch und zu gierig gewesen zu sein, während von den Grünen die Legende des Entgegenkommens kolportiert wird. Wenn überhaupt dann in belanglosen Feldern. Ob die Grünen nicht zu sehr auf ihren Themen bestanden haben, diese Frage wird gar nicht aufgeworfen. Und es geht hier nicht darum die Schuld den Grünen zuzuweisen, die ihrerseits ihre Wähler vertreten müssen, ohne sich ansonsten zu zerreißen, sondern um zu zeigen, wie hanebüchen es ist, der FDP das jetzt vorzuwerfen.

Mag sein, dass irgendwelche Verirrten und Verwirrten, den Vorstoß zur Digitalisierung für das heißeste Eisen im Feuer der FDP gehalten und sie deshalb gewählt haben, aber die haben offenbar immer noch nicht verstanden, dass die Migrationspolitik DAS Thema dieses Wahlkampfes war und folglich jeder Koalitionsverhandlung sein muss. Jedes Mal wenn ich gelesen habe, dass die größten Streitthemen Soli und sonstiges Abstruses gewesen sein sollen, dann konnte ich einfach nur an Realitätsverweigerung denken. Das ist der Geist derjenigen, die auch nicht erkennen, was man hätte anders machen sollen und die Merkel auch so attestieren, dass sie ja eigentlich nichts falsch gemacht habe.
Der Familiennachzug war einer der Kristallisationspunkte. Aufnahmegrenzen und Abschiebungen wären weitere Themen, wo sich die Grünen mit der FDP ganz und gar nicht grün waren. Aber nein das ist natürlich überhaupt kein relevanter Streitpunkt! Wie Herr Wallasch bei Tichy in einem Rückblick auf „hart aber fair“ richtig zu dem ganzen Vorgang dann anmerkt:

„Aber nein Frau Bär, möchte man hinüber rufen von der Wohnzimmercouch. Aber nein, es ging doch nur um dieses bisschen Zuwanderung, das wir mit links schultern werden die nächsten Jahre und Jahrzehnte.“

In dem gleichen Beitrag bemerkt Herr Wallasch nämlich die eigentliche Konzeption dieser Verhandlungen:

„Interessante Frage von Plasberg: ‚Wenn sich die Grünen in den Sondierungsgesprächen so auf die anderen zu bewegt hätten, wird das bei Neuwahlen eigentlich alles wieder resettet?‘ Simone Peter sagt darauf einen der wichtigsten Sätze des Abends. Entlarvend, selbsterklärend. Also nein, warum sollten wir uns resetten, ‚wenn sie das Papier genau gelesen hätten …‘ Offensichtlich hat das die FDP. Aber die Presse nicht. Weil sie nicht wollte. Peter gibt also unumwunden zu, dass man so schlau formuliert hat, damit die Presse schreibt was sie schreiben soll, aber bewegt hätte man sich natürlich nie wirklich. Sag sie so nicht, aber genau so muss man es hier verstehen.“

und weiter:

„Eine interessante Information kommt noch: Simone Peter stellt klar, dass Claudia Roth für die Grünen das Thema Zuwanderung verhandelt hat. Und noch mal redet sie sich um Kopf und Kragen: Nein, es wäre keine Begrenzung der Zuwanderung vereinbart worden. ‚Eine Begrenzung wird es mit den Grünen nicht geben.‘ Also alles falsch, was nachher an Legende mit medialer Unterstützung gestrickt wurde. Nicola Beer kann ihr Glück kaum fassen. Kommt aber nicht zu Wort. Simone Peter redet und redet und redet. Sie merkt wohl gar nicht, was sie da sagt, hart aber fair. Plasberg muss eingreifen: Faktencheck abwarten!“

(anzuschauen unter: https://www.youtube.com/watch?v=9G6YxzOgsxc)

Mit den Grünen gab es Kompromisse mit einer ohnehin GroKo-isierten CDU also sozialdemokratische, gerade für sie noch tragbare Kompromisse, während man die großen Streitfragen (die hauptsächlich mit der FDP bestanden) in Formelkompromisse und Lippenbekenntnisse gekleidet vom Verhandlungstisch zu komplimentieren glaubte. Vielleicht hat man angenommen die FDP allein mit Ministerposten zufriedenzustellen und gedacht das Insistieren auf politischen Inhalten wäre nur reine Verhandlungstaktik und nicht politischer Überlebenswille.

Wenn Lindner also in einem anderen Interview mit dem SPIEGEL (das die Standards eines guten Interviews im Gegensatz zu Slomkas Haltungsjournalismus einhält), beschreibt, dass am Ende nichts zustande gekommen ist, dass FDP Handschrift trägt, dann ist das allemal glaubwürdiger, als anzunehmen man hätte kurz vor einer Einigung gestanden, bei der die Grünen von ihren migrationspolitischen Forderungen abgewichen wären, was das Personal der Grünen ja selbst bestreitet.
In welcher Welt laufen also bitte Verhandlungen so ab, dass man dann zustimmt, wenn man gar nichts und die Anderen immerhin ein bisschen was bekommen? In welcher Welt ist es ein Kompromiss, wenn man seine Positionen preisgibt und akzeptiert, was andere einem vorsetzen? Man kann anfangen der FDP Vorhaltungen zu machen, wenn dies hier eine Welt wäre in der die Grünen bereit gewesen wären für sofortige Abschiebungen, geschlossene Grenzen und dem Versprechen über die Sache mit der Förderung des Umweltschutzes in vier Monaten nochmal sprechen zu wollen, zu votieren. Alles für die Staatsräson versteht sich.

Da ich das aber nicht glaube, kann man nur sagen, dass man versucht hat, die FDP hier über den Verhandlungstisch zu ziehen, und die eben als Einzige ehrlich genug waren einzugestehen, dass diese „Einigung“ ein Haufen heiße Luft gewesen wäre. Aber wenn ich ehrlich bin, glaube ich, dass das den Beteiligten irgendwo auch klar ist, nur dass sie die „rechten“ Forderungen der FDP ohnehin für vernachlässigenswert und falsch hielten, dass es auch kein Recht dazu gab, sie in den Verhandlungen durchzusetzen und die Medien dabei assistierte, wie Tichy in einer Redaktionskolumne (Merkel und Medien) feststellte:

„Aber im Kern hält Hanfeld seinen Kollegen den richtigen Spiegel vor: ‚Das kann man sich gut vorstellen, auch mit Blick auf die begleitende Berichterstattung in Rundfunk und Fernsehen, bei der es in den vergangenen Wochen häufig so schien, als stellten die Positionen der Grünen eine mehr oder weniger naturgegebene, selbstverständliche, durch und durch rationale Grundlage zu allen politischen Streitfragen dar, bei denen Union und FDP nur noch nicht das richtige Licht aufgegangen sei: Kohleausstieg, Klimaschutz, Ende für den Verbrennungsmotor, Familiennachzug. […]‘ „

Da Seehofer und seine CSU sich nach alldem an der Jagd auf die FDP beteiligten, lässt nur den Schluss zu, dass er im Gegensatz zu Lindner umgefallen ist.

Wenn sich jetzt also Slomka hinstellt, der FDP ein abgekartetes Spiel vorwirft und glaubt die FDP hätte aus reiner Profilierungssucht die Verhandlungen scheitern lassen, dann ist sie entweder dumm und naiv oder sie besitzt schlicht die Dreistigkeit diese Sendung als Haltungsjournalistin für ihre Agenda zu missbrauchen. Inszeniert ist hier höchstens Eines: dieser Skandal.

Eine ganz besondere Frechheit ist dann noch der FDP zu unterstellen, dass sie schlecht verhandelt hätte. Wo keine Kompromisse möglich sind, finden gar keine Verhandlungen statt. Schlecht verhandelt bedeutet, ich habe einen schlechten Deal gemacht. Hier hat die CDU mit den Grünen Kompromisse ausgehandelt, die der FDP dann nach dem Motto „Friss oder stirb“ vorgelegt wurden. Einwendungen Lindners hat man offenbar abgewiesen oder nicht ernst genommen.

Den Rechtsruck der FDP noch immer nicht verstanden

Was in dem Gespräch deutlich zum Ausdruck gekommen ist und da sieht man die eigentlichen Hoffnungen und Absichten hinter Jamaika, man hatte gehofft rechte Lösungsansätze für eine weitere Legislatur aus der Politik auszuklammern, um weiter Fakten zu schaffen. Jamaika wäre keine liberale und keine konservative Lösung gewesen. Die Merkel CDU im Verbund mit den Grünen hätte die linkshegemoniale Poltik der Großen Koalition, in einigen Feldern sogar noch intensiviert, fortgesetzt und die FDP hätte als Stimmenbeschaffer fungiert. Außerdem hätte man sie so eingehegt, nachdem sie vor der Wahl nach rechts abgeglitten war. Den Wunsch vieler Bundesbürger nach einer rechten Politik oder eine Mitte-Rechts Politik zumindest, wollte man getrost ignorieren. Linke Politik war bei der Wahl eindeutig abgewählt worden (zum Schaden von SPD und CDU), sie sollte jetzt durch die Hintertür fortgesetzt werden und das hat die FDP nicht mit sich machen lassen.

Die hysterische Angst vor einer AfD, die bisher im Bundestag konstruktive Reden hält und bereit ist in Sachfragen zu kooperieren hält die Republik und vor allem das links-hegemoniale Establishment im Griff. Zwei Sorgen sind es vor allem: der Verlust des Primats linker Politik und eine Stärkung der AfD. Deshalb ist Lindners Verhandlungsabbruch in zweierlei Richtung für diese Leute verheerend. Er hat gezeigt, dass er bereit ist für die vermeintlich falschen rechten Prinzipien aufrecht zu bleiben, aber was nach viel wichtiger ist, dass das Gespenst einer weiteren Stärkung der AfD in den Köpfen dieser Leute die Runde macht.

Sie glauben noch immmer ihr selbstgesetzes Narrativ davon, dass die Position der rechten zu kopieren nur diese stärken würde, weil die Leute lieber das Original wählen würden. Diese Ansicht steht meiner Ansicht nach nur im Raum, um eine scheinbar vernünftige Rechtfertigung dafür zu haben, einfach mit alternativloser linker Politik fortzufahren. Denn es ist falsch, von vorne bis hinten. Die FDP hat bei dieser Wahl das genaue Gegenteil bewiesen und man muss eigentlich die Frage stellen, ob die ganzen Leute, die Lindner lieber die Positionen seiner Partei in einer Jamaika-Koalition preisgeben sehen wollte, eigentlich nicht doch heimliche Fans der AfD sind.
Sie fürchten sich jetzt, dass der Verhandlungsabbruch und etwaige Neuwahlen Wasser auf die Mühlen dieser Partei sein könnten und ignorieren völlig, dass die FDP nur so stark abgeschnitten und die AfD in ihrem Wachstum gebremst wurde, weil die Liberalen deren Position übernommen und ordentlich an ihren Stimmen gewildert hatten.
Die sozialen Kosten, dass zeigte mir auch wieder dieses Gespräch, dafür die AfD zu wählen, sind immer noch recht hoch und vielen, die sich eine schärfere Gangart in der Migrationspolitik wünschen, ist die AfD womöglich auch zu extrem, aber eben die bis zum Rechtsschwenk der FDP bestehende einzige Alternative. Jeder der Zweifel an der Integrität der AfD hat, wird zunächst nochmal der FDP eine Chance gegeben haben und auch die, die der AfD trotzdem ihre Stimme gegeben haben, sind keine harten Wähler, sie können sich jederzeit wieder umorientieren, wenn sie finden, dass sich die Etablierten wieder glaubwürdig positionieren.

Das Scheitern von Jamaika hat sicher auch im Sinne der AfD Schlimmeres von Deutschland abgewendet, polittaktisch wäre es für die rechte Partei aber sicher nützlich gewesen ihre Konkurrenz, insbesondere die FDP hätte sich in einer links-grün dominierten Chaos-Koalition demontiert. Das die FDP Haltung bewahrt hat, gibt den Liberalen nach rechts bei etwaigen Neuwahlen und in den Landtagswahlen eine sehr viel bessere Ausgangsposition. Die können sich jetzt nach rechts als glaubwürdig verkaufen und so eine Alternative zur Alternative für Deutschland bieten. Wer dafür ist die AfD zu schwächen, musste den Ausstieg der Liberalen aus den Sondierungen begrüßen.

Wer glaubt der Ausstieg sei Wasser auf die Mühlen der AfD, wenn gleich diese erst als Drohkulisse für Lindner dessen Sinneswandel erzeugt hat und deshalb weiter wichtig ist, hat den Rechtsruck der Partei noch immer nicht verstanden. Und er hat auch nicht verstanden, bei welchen Themenkomplex, nämlich der Migration, die Prioritäten des Wahlvolkes derzeit liegen. Slomka und die links-grünen Medien versuchen aber ihr möglichstes um diesen Irrsinn aufrecht zu erhalten, eben um weiterhin rechte Politik, egal von welcher Partei, exterminatorisch aus dem politischen System auszugrenzen.

Wieso? Weil sie eine Frau ist!??! <.<

Zum Abschluss dieses Verrisses will ich, auch wenn es mich davor sträubt, mich in diese Niederungen herabzubegeben, noch um eine besondere Stilblüte dieses Gesprächs kümmern, das ich hatte. Da wird mir doch wenn nicht direkt Sexismus so doch ein Doppelstandard unterstellt. Männer dürften ja anderen Leuten (und vor allem Frauen) ja immer ins Wort fallen, aber wehe eine Frau tut dies! Und überhaupt tun das AfD-Politiker in Talk-Sendungen ja auch.

So räumen wir die AfD-Politiker in Talk-Sendungen erstmal zunächst ab. Das wurde erwähnt, weil ich als Unterstützer der AfD da natürlich Doppelstandards anlegen würde. Erstens in Talk-Sendungen fallen sich die Gesprächsteilnehmer regelmäßig ins Wort, Männer wie Frauen, in den unterschiedlichsten auch parteipolitischen Konstellationen. Das ist der Knackpunkte, wenn man Gespräche statt serieller Monologe, haben möchte. Man muss insistieren, insbesondere wenn man direkt oder indirekt angesprochen wird, um erstens Missfallen auszudrücken und man den Willen verspürt etwas direkt richtig zu stellen. Ein Verhalten das für Moderatoren ebenso normal wie notwendig ist, um Gesprächsteilnehmer zur Räson zu bringen bzw. die Gesprächsleitung in der Hand zu behalten. Natürlich lässt man am besten ausreden, wenn es nicht zuviel wird. Mal quatschte Frau Petry mal in einem Talk hinein, mal kam in einer anderen Sendung ein Gauland so gut wie nie dran, weil er kaum das Wort ergriff aber die Moderatorin natürlich bei denjenigen Teilnehmern blieb, die was auszudiskutieren hatten, um mal bei der AfD zu bleiben und beide Seiten zu zeigen. Für eine Talk-Runde ist das normal und Usus. Es gehört auch zur politischen Darstellung.

Das hier ist allerdings ein Interview, kein Talk. Auch keine Diskussion zwischen Frau Slomka und Herr Lindner, ihre Meinung ist hier herzlich irrelevant und sie hat sie deshalb auch schon gar nicht über Lindner drüber zu sprechen. Und wenn jetzt kommt, aber der Lindner hat ja auch versucht sie zu unterbrechen. Natürlich. Sie hat sich von dem Interview, während er noch in der Leitung ist, abgewandt, um direkt an den Zuschauer gerichtet, ihre Meinung des Gesagten zum Besten zu geben, was schon verflucht frech ist. Da ist es selbstverständlich, dass der Interviewte das nicht einfach so stehen lässt.

Deshalb auch hier zum Sexismus. Nein Lindner darf sie nicht unterbrechen weil sie eine Frau ist und sie ihn nicht, sondern weil sie tendenziöse Meinungen von sich gibt und er sich falsch dargestellt sieht. In gleicherweise hätte sich auch ein Herr Bator oder Herr Kleber behandeln lassen müssen. Also von wegen muh Sexismus! Mit so einem Argument angesichts dieses journalisten Tiefpunkts zu kommen, ist echt erbärmlich. Es riecht stattdessen nach umgekehrten Sexismus, um mal den Spieß umzudrehen, Frau Slomka wird so quasi für ihr Verhalten noch entschuldigt, weil sie eine Frau ist?!!?

Und ich lasse es mal bewenden und gehe nicht noch auf die Körpersprache und ihre besserwisserische Art ein, wie sie Lindner nicht interviewt sondern konfrontiert und verweise nochmal auf den guten Artikel: Polit-Aktivist Slomka von Fritz Goergen.

Slomka ist die Journalistin, die der ÖR verdient

Wenn mir also einer erzählen will, dass Frau Slomka zum besten gehört, was unser Journalismus zu bieten hat, dann scheinen seine Standards nicht hoch zu sein, generell muss der Standard unseres Journalismus in Relation zu ihr massiv gesunken sein. Vielleicht habe auch ich einfach nur verlernt wahres Talent zu würdigen. Tja wenn das wahres Talent ist. Tja… Na dann können wir ja weiter machen mit journalistischen Kasperle-Theater in den Medien mit der AfD und seit neueste der FDP als Buhmann und Prügelknappe der Öffentlichkeit.